2002 – YACHT: Interview

Interview Yacht                                      Heide + Erich Wilts

(1990 sind wir mit unserer 15-Meter-Stahlyacht Freydis aufgebrochen, um erst am Rand der Antarktischen Halbinsel zu überwintern und dann über dee Meere der Südhalbkugel zu segeln. Aus unserem Lebenstraum drohte schon kurz nach dem Start ein Alptraum zu werden: Zunächst brannte die Freydis vor Argentinien fast völlig aus, später strandete sie im Krater von Deception Island, schlug  leck und wurde vom Eis begraben. Wir richteten sie wieder her und segelten damit fast zehn Jahre lang rund um Kap Hoorn nach Südafrika, zu den Kerguelen, nach Tasmanien und Neuseeland sowie im Rossmeer und in die Südsee. ) 

Ihre Reise in den Meeren der Südhalbkugel und die Umrundung der Antarktis hat rund zwölf Jahre gedauert. Kann man da eigentlich noch von einer „Reise“ sprechen?

Heide: „Wohl nicht mehr. Es ist eher eine Art Lebensstil. Alles hat sich radikal verändert, als wir vor 12 Jahren unsere Berufe aufgegeben haben und aufs Boot gestiegen sind. Bis dahin haben wir zwar auch einige recht ausgedehnte Segelreisen unternommen, aber sie waren zeitlich durch den Urlaub begrenzt gewesen. Lediglich 1980/81 hatten wir uns für ein Jahr ausgeklinkt, um das erste Mal die Antarktis zu besuchen und rund Südamerika zu segeln. Jetzt haben wir zwar noch einen festen Wohnsitz – ein Haus in Cuxhaven – aber der Steg davor ist seit Jahren verwaist.“ 

Erich: „ Apropos Lebensstil: Wir haben wir unser Leben geändert, aber nicht uns selbst: Auch für unser „Leben auf See“ waren Aufgaben und Ziele für uns wesentlich: Zuerst die Überwinterung in der Antarktis zu zweit, dann die Umsegelung der Antarktis mit dem Besuch fast aller an ihrer Peripherie liegenden Inseln – ein Unternehmen, das uns viele Jahre begeistert hat.“ 

Heide: „Was heißt Aufgaben und Ziele?  Es war doch unser Traum, doch er war ohne entsprechenden Einsatz eben nicht zu verwirklichen. Eine zusätzliche Aufgaben, die sich eher ergeben hat, als dass wir sie uns gestellt hätten, war das Schreiben und Fotografieren – aber das war genauso Freude und Befriedigung. Segeln allein hätte uns auf so lange Zeit nicht ausgefüllt, so haben wir alte Hobbys aufgegriffen und ausgebaut. Alles zusammen war für uns „rund“ und spiegelte unseren Lebensstil wieder.“

(und auch Opfer bringen: auf vieles verzichten, was sonst selbstverständlich scheint: auf Freunde, auf liebgewordene Alltäglichkeiten wie Zeitung lesen, Eßgewohnheiten, auf jede Art von Luxus sowieso, muss sich finanziell einschränken etc. Da merkt man erst, was man alles überhaupt nicht braucht!) 

(12 Jahre auf See, das ist keine Reise mehr, sondern ein Lebensstil…und der ist für uns erst rund durch zusätzliche Aufgaben, die wir uns stellen und an Bord auch realisieren können. Deshalb haben wir alte Hobbys aufgewärmt…) 

Zwischendurch zog es Sie dann aber doch einmal ernsthaft wieder nach Hause.

Erich: „Ja, nach den 8 Jahren wollten wir tatsächlich nach Hause. Dass daraus nichts geworden ist, verdanken wir dem wissenschaftlichen Expeditionsleiter der „GEO“-Redaktion: Uwe George hat uns mit seiner Begeisterung für eine Segelexpedition zu den einsamsten Inseln Melanesiens (Vanuatu, Salomonen, Papua Neuguinea) angesteckt – nach Vanuatu, zu den Salomonen und nach Papua Neuguinea. Kurzentschlossen sagten wir unsere Teilnahme zu – vielleicht weil uns so eine Expedition wie auf den „Leib geschrieben“ war –  und drehten den Bug der Freydis am Kap Hoorn um 180 Grad erneut in Richtung Pazifik.“ 

Heide: „Übrigens ein Entschluss von großer Tragweite für uns – denn er bedeutete für uns nicht nur die 1 ½  Jahre für dieses Projekt, sondern eine zweite Umsegelung der Erde:

Im Anschluss an die GEO Expedition sind wir durchs Große Barriere Riff Australiens, durch die Torresstrasse und auf der Passatroute weiter in Ost-West Richtung ums Kap der Guten Hoffnung nach Hause gesegelt .“ 

2. Zwischendurch haben sie immer wieder Pausen eingelegt, mal freiwillig, mal unfreiwillig (Überwintern im Eis), mal länger; mal kürzer. Waren Pausen notwendig um neue Kraft zu schöpfen, wieder Lust zu bekommen für diese extremen Reviere, oder eher ein Zugeständnis, um den Kontakt nach Hause zu halten?

Erich: „Wir waren zirka neun bis zehn Monate im Jahr unterwegs an Bord und zwei bis drei Monate zu Hause in Deutschland. Das Schiff haben wir in diesen Zeiten an geschützten Plätzen zurückgelassen. Auf die Pausen zu Hause haben wir uns immer gefreut… auf unsere Freunde, unsere Verwandten, auf Deutschland überhaupt …“  

Heide: „Die Pausen in Deutschland waren keine Kompromisse, sondern schlichtweg ein  Bedürfnis. Natürlich mussten wir nach schwierigen Törns auch wieder Kraft schöpfen. Aber unsere Pausen waren nie unfreiwillig, auch die im Eis nicht. Damit meine ich unsere Überwinterung in der Antarktis. Sie war lange geplant und vorbereitet. Wir kannten die Insel Deception. Wir hatten sie ja bereits 1981 mit der Freydis besucht. Unfreiwillig war allerdings die Art der Überwinterung, die sich dann aus der Strandung ergab. (und aus der Tatsache, dass wir ganz andere Wetterbedingungen im Winter vorfanden, als erwartet – damals konnten wir nirgends Informationen darüber bekommen.)“   

3. Antarktis, Indischer Ozean, Australien, Tasmanien, Neuseeland, Feuerland…die Liste der Stationen Ihrer Reise ist beeindruckend lang. Die Frage nach dem Schönsten ist oft schwer zu beantworten (und für den zweiten Teil geplant…) , deshalb: welches war das am härtesten erkämpfte Ziel, welches die größte Enttäuschung und welches die größte Überraschung?

Heide: „Die härteste Prüfung war sicher, das mit Seewasser und Eis vollgelaufene und durch die Strandung ramponierte Schiff wieder flott zu kriegen und nach Südamerika zurückzusegeln (, unter anderem, weil wir mit versteckten Mängel am Schiff rechnen mussten, die sich plötzlich auftun konnten. 

Besonders gefordert hat uns auch die Reise von Südafrika nach Australien durch den Südindischen Ozean, auf der wir die Prinz Edwards, die Crozets, die Kerguelen, die Insel Heard und St. Paul besuchten. Die Crozets habe ich noch in böser Erinnerung…“)

Erich: „Auf dieser Reise – mit 73 Tagen war sie die längste in einem Stück gesegelte Distanz – haben wir den einzigen Knockdown in 25 Jahren mit der Freydis erlebt! Außerdem stellte sich auf halber Strecke ein Getriebeschaden ein, sodass wir nicht mehr auf die Maschine zählen konnten – besonders prekär hat sich das beim Anlaufen der Inseln ausgewirkt. Die Strandung zuvor war klar unser größter Tiefschlag. Die schöne geruhsame Überwinterung, die wir uns erhofft hatten, verwandelte sich schlagartig in einen Kampf ums Überleben.“ 

Das riskanteste Vorhaben aber war wohl unsere Reise zum Rossmeer: Sie führte weiter nach Süden (70° S) , als alle anderen Reisen ins Eis: Sehr große Entfernungen mussten überwunden werden und die Kälte war ein unberechenbarer Feind, auf See schwer zu bekämpfen – von einem Tag auf den anderen froren unsere Wasservorräte ein! Dazu das Packeis, das uns immer wieder einschloss, es hätte uns leicht zerquetschen können – ganz zu Schweigen von den heftigen katabatischen Stürmen (Fallwinde von der Antarktis).

Yacht:Was würden Sie als die schönsten Momente Ihrer Reise bezeichnen? 

Heide: „Die größte Überraschung im positiven Sinne war für mich immer wieder die Freundlichkeit, die Anteilnahme und Hilfsbereitschaft der Menschen, denen wir in extremen Gebieten begegnet sind. Mitreißend auch die unberührte Natur  auf den menschenleeren Inseln: Die Tiere hatten keine Scheu vor uns, das war geradezu paradiesisch.“

Erich„Eine Insel voller faszinierender Überraschungen war für uns   Südgeorgien: diese grandiose Mischung aus landschaftlichen Superlativen und unvorstellbar reichem Tierleben. Überwältigend.“    

4. Auf vielen Etappen haben sie zahlende Gäste an Bord. Ist das – gerade in so teilweise extremen Revieren – nicht oft eine große Belastung?   

Erich: „Im Gegenteil.  Eine eingespielte Crew verringert vor allem in anspruchsvollen Revieren das Risiko für Schiff und Mannschaft beträchtlich und erlaubt sportliches Segeln. Eine gute Crew schuf erst die Vorraussetzungen dafür, dass wir viele schwer zugänglichen Inseln besuchen konnten.

Natürlich führt das Segeln mit Crew auch zu einer Einschränkung unserer persönlichen Freiheit. Als Eigner und Skipper übernehmen wir für unsere Mitsegler eine große Verantwortung. Das Schiff führen heißt: Die Crew anleiten, lenken, Entscheidungen treffen. Für viele mag das eine Last sein, für mich war´s fast immer eine Lust. 

Außerdem empfinden wir die Geselligkeit an Bord und das gemeinsame Erleben als eine wertvolle Bereicherung. Abgesehen davon werden die aufwändigen Reisen über die Törngebühren mitfinanziert.“   

(Kurz: In schwierigen Segelrevieren ist es besser mit Mannschaft zu segeln.                     Außerdem hilft die Crew bei der Finanziwerung diese exspeditionsartigen Reisen.  Gemeinsames Erleben hat seinen besonderen Reiz, eine wertvolle Bereicherung.)

Yacht: Wären Sie manchmal dennoch nicht lieber allein gewesen?

Heide: „Na ja, wir haben uns schon einige Male gewünscht, nur zu zweit zu sein. In extremen Gebieten, wenn wir endlich irgendwo sicher vor Anker lagen, da hätten wir uns bei aller Freundschaft und Sympathie für unsere Mitsegler gern ab und zu ausgeklinkt. Das dichte Zusammenleben kostet einfach Kraft und Zweisamkeit entlastet.  

(Und so widersinnig es scheinen mag: In den Passatregionen, in denen Schiff und Crew oft nicht besonders gefordert wurden, wie zum Beispiel der Südsee, kann das Zusammenleben gelegentlich durchaus anstrengend werden. Wenn etwa die  Vorstellungen und Interessen zwischen uns und einzelnen Mitseglern allzu stark auseinander klaffen. Ich erinnere mich an eiin kleines Atoll mit wunderbarer Lagune, mit palmenbesetzten Riffinseln voller Vögel und einem kleinen Eingeborenendorf. Aber es gibt keinen Flugplatz, kein Restaurant, keine Bar. Für die einen liegt hier „der Hund begraben“, sie wollen so rasch wie möglich zurück in die Zivilisation, für die anderen (wie auch für uns) erfüllt sich hier der Traum vom Paradies. Spannungen waren unausweichlich.)

Erich :  („Deshalb versuchen wir schon bei der Zusammenstellung der Crews und bei vorangehenden Crewtreffen einen möglichst großen gemeinsamen Nenner zu finden, damit die Reise für alle ein Gewinn wird. )

Auf langen Passatstrecken im Atlantischen, Indischen und Pazifischen Ozean segeln wir allerdings am liebsten zu zweit. Zweisamkeit war uns auch wichtig während der Überwinterung im Eis..“

Heide: „Wir begeistern, uns an denselben Dingen. Das schließt nicht aus, dass wir auch mal die Klingen kreuzen.“

12 Jahre lang unterwegs, zweimal um den Globus, einmal rund Antarktis. Feuer an Bord, Strandung, Knockdown…nicht nur stressfreies Segeln. Aber in kritischen Momenten gab es nie Spannungen, eher schon mal „beim lockeren Segeln unter blauem Himmel (in der Südsee) etwa über die richtige Segelführung…“ 

Ein Schiff ist kein „Katalysator“ für Meinungsverschiedenheiten in einer Partnerschaft, die gibt es an Land genauso. Obwohl auf schwankendem Schiffsboden, haben sie eine solide Basis – wir begeistern uns an denselben Dingen und das schweißt uns zusammen…schließt aber nicht aus, dass wir auch mal die Klingen kreuzen.“

Wie lange segeln sie bereits zusammen? 

Erich: Seit wir zusammen sind, also seit 1969 – 33 Jahre – zuerst auf meiner Einmann – Yolle, einem Finn; 1975 haben wir dann die erste – kleinere – Freydis gebaut, 1978/79 unsere jetzige Freydis.

5. Yacht: Sie und Erich sind also seit Jahren ein eingespieltes Team, wie sieht da eigentlich – gerade mit Gästen an Bord – die Arbeitsteilung aus?

Heide:  

Segeln wir allein, lösen wir uns über Nacht ab: Die eine Hälfte übernimmt Erich, die andere ich. Braucht einer Hilfe bei einem Manöver, so fordert er sie beim anderen an. Bei Manövern arbeitet Erich vorzugsweise am Mast und auf dem Vorschiff, während ich die Winschen im Cockpit bediene und das Boot  steuere. Beim Ankermanöver das gleiche: ich am Steuer und an der Maschine, Erich vorn an der Ankerwinsch. Auch die Arbeit mit den schweren Spibäumen auf dem Vorschiff fällt Erich zu, während ich Schoten, Achter- und Niederholer  bediene. Beim Großsegel-Reffen sind wir meist beide im Einsatz.  Mit der Rollreffanlage des Vorsegels kann einer allein fertig werden.“

Erich:  „Navigation ist Aufgabe des jeweils Wachhabenden. Ich bin der Maschinist.  Kochen ist vorwiegend Heides Domäne, dafür übernehme ich den Abwasch.  

Mit Crew Mit Crew kennen wir in Bezug auf Arbeitsteilung jedoch keine starren Regeln, sondern überlegen von Mal zu Mal wieder neu. Meist bilden wir drei Wachen á zwei Leute, der Siebente kocht. 

Die Arbeitsteilung ist jedoch abhängig von der Erfahrung der Crew und vom Segelrevier. Jede Wache arbeitet für sich und bekommt, wenn nötig, Unterstützung von der Folgewache – das ist jedenfalls unser Ziel. Ich übernehme immer eine Wache, Heide übernimmt je nach den Erfordernissen eine Wache, manchmal kocht sie auch nur oder übernimmt die Navigation, ohne in den Wachrhythmus eingebunden zu sein. Auch wenn wir klare Verantwortungen schaffen, so kann doch jeder an alle Aufgaben heran. Vor Törnbeginn überlegen wir beide sehr genau, wie wir die Wachen besetzen, damit die Reise möglichst reibungslos verläuft, Entlastung für uns bringt, Gefahren minimiert und eine möglichst gute Stimmung an Bord garantiert.  

6. Manche der Reiseabschnitte, z.B. Südsandwich Inseln oder Patagonien waren vom Seglerischen her extrem anspruchsvoll und brachten sie an ihren Grenzbereich. Was zieht sie in diese unwirtlichen Gegenden? 

Erich: „Von „Grenzbereichen“ kann man schon sprechen: Ein Schiff  ist an seiner Grenze, wenn Eispressung, Schiffsvereisung oder Durchkenterung in schwerer See drohen – und eine Crew, wenn sie enormer Beanspruchung und enormen Strapazen – Kälte, Seekrankheit, Schlaflosigkeit etc.- ausgesetzt ist, wie das öfter bei uns der Fall war.“

Heide: „Es ist wohl die gleiche Leidenschaft, die auch Bergsteiger auf Gipfel treibt. Per aspera ad astra, auf rauen Wegen zu den Sternen – gilt auch beim Segeln.  (ganz einfach Herausforderung, Abenteuer…s.d.) 

Was aber nicht heißt, dass wir der „Sonnenseite des Segelns“ nichts abgewinnen könnten: Die Südsee zum Beispiel, in der wir uns immerhin 6 ½ Jahre aufgehalten haben, bringt die andere Seite in uns zum Klingen, die sich nach Entspannung, Heiterkeit und unbeschwertem Leben sehnt: nach Wärme, Sonne, Palmenstränden, schillernden Lagunen, freundlichen Menschen…das alles lieben wir sehr; unsere „Herzenslandschaft“ aber sind nun mal die antarktischen und subantarktischen Gebiete.“    

7. Ist das „Harte“ ihres Segelns eigentlich auch ein bisschen Selbstzweck oder nur der unvermeidliche Weg zu den Plätzen, die sie reizen?

Heide: „Selbstzweck im Sinne einer Herausforderung (zu sportlichem Segeln): Natürlich – zu vielen Orten hätte man weit weniger strapaziös gelangen können. Im Laufe der Jahre hat sich jedoch unsere Einstellung geändert – vor allem bei Erich. Immer weniger wurde das Segeln an sich zur Herausforderung und immer mehr die wundervollen Naturerlebnisse:

Das kleine Boot gab uns die Möglichkeit, sie selbst an den entlegensten Winkeln der Erde aufzuspüren – tatsächlich wären viele interessante Plätze auf andere Weise gar nicht oder nur schwer zu erreichen gewesen.“ 

8. Gab es eigentlich auch Situationen wo sie dachten: jetzt ist es aus vorbei! Wie geht man mit so etwas um?

Erich: „Ja, leider: Als die Freydis nach der Strandung voll Salzwasser lief und wir das Boot verlassen mussten, weil wir sonst darin ertrunken oder erfroren wären. Oder in der Crozetbucht, als Heide und zwei Mitsegler eine Nacht bei schwerstem Sturm in einer Bucht voller Klippen an Bord verbringen mussten während ich mit der übrigen Crew gezwungen war auf der gottverlassenen, eisigen Insel zu biwakieren, weil wir nicht mehr zur Freydis zurück konnten.“

Heide: „Damals; als die Ankerkette brach, machten wir unser Testament! Ich habe mir damals geschworen, nie wieder im Südindischen Ozean zu segeln.  Lange hat mich diese Situation gequält, das muss ich zugeben. Wie man mit so was umgeht? Ich habe mich meinem Tagebuch anvertraut, mir meine Angst von der Seele geschrieben. Das hat geholfen – es ist meine Art, solche Dinge zu verarbeiten.“

9. In den letzten Jahren hatten Sie auch modernste Kommunikationsmittel (Iridium) an Bord, waren so am letzten Winkel der Erde erreichbar. Fluch oder Segen?

Erich:  „Wir sind im Vergleich zu anderen Weltumseglern eher kommunikationsfaul. Iridium hatten nur die GEO Teams an Bord für die Koordination. Vor 1 1/2 Jahren haben wir uns jedoch das Orbcomm System  (satellitengestützter E-Mail-Verkehr) angeschafft, weil Heide in Verbindung mit ihrer betagten Mutter bleiben wollte. Leider geriet die Firma in Konkurs, sodass das System nicht funktionierte (es soll jetzt wieder arbeiten und ist dann sicher eine preiswerte Alternative, weil man kurze E-Mail senden und empfangen kann).

Seit über 20 Jahren haben wir Kurzwelle an Bord und konnten damit über Küstenfunkstellen nach Hause telefonieren. Aber dieses System ist umständlich und teuer. Eine Lizenz für Amateurfunk besitzen wir nicht und auch kein Immersat-Gerät. 

Kommunikation an Bord ist sicher aber auch ein Fluch. In den letzten zwei Jahren haben wir es einige Male erlebt wie an Bord die Handy-(Mobile-) Telefonitis ausbrach – zum Beispiel in den küstennahen Zonen Australiens und Afrikas. Plötzlich kamen alle beruflichen und privaten Probleme an Bord und beeinflussten die Stimmung. Die Abgeschiedenheit war dahin! Dass jeder jeden Punkt der Erde telefonisch von Bord aus erreichen kann, das ist für mich eine Horrorvision. 

Ich glaube, dann muss der Gebrauch der mobilen Telefone an Bord genauso geregelt werden wie der Konsum von Alkohol oder Zigaretten. Andererseits kann Kommunikation auch ein Segen sein. Wie gesagt, man muss einen Kompromiss finden, zum Beispiel Regeln aufstellen. “

10. Seit 12 Jahren sind sie mittlerweile mit der „Freydis“ unterwegs in vielen extremen Revieren der Südhalbkugel. Wie hält so ein Schiff das eigentlich aus, ist man da nicht nur am reparieren? Und: Für die Südhalbkugel war „Freydis“ ein sicheres Schiff, aber würden sie auch einmal gerne mit einem modernen, schnelleren Boot auf Törn gehen?

Erich: „Wie hält ein Schiff das aus? Fragen Sie doch lieber, wie halten wir das aus! Tatsächlich fallen ständig Überholungsarbeiten und Reparaturen an; und in unserer Törnplanung sehen wir dafür auch immer ausreichend Zeit vor und wählen geeignete Orte aus. 

Bei der starken Beanspruchung in den zwölf Jahren ist das Boot annähernd 100.000 Seemeilen gesegelt (insgesamt übrigens mehr als das Doppelte…etwa 10 X um die Erde: Erdumfang 21.600 Seemeilen/ Seemeile =1,853 Kilometer) und extrem belastet worden. Da haben wir natürlich einen hohen Materialverschleiß. Vor allem infolge des Brandes und der Strandung in den ersten beiden Jahren war immense Arbeit auf uns zu gekommen. An den Folgen der Schäden haben wir bis heute zu knabbern.“

Yacht: Haben Sie jemals darüber nachgedacht, die schwere Stahlyacht gegen ein modernes Boot zu tauschen?

Heide: „ Tatsächlich sind fast alle Yachten, denen wir begegnen, moderner, schnittiger und auf Am-Wind-Kursen sicher auch schneller. Wir staunen oft über den Luxus, mit dem sie ausgerüstet sind: Immersat, Computer, Waschmaschine, Mikrowelle, Entsalzungsanlage und so weiter. Aber diese ganze Elektronik, Hydraulik und Telekommunikation, so wohltuend sie auch sein mag, wenn sie funktioniert, bringt wieder die Abhängigkeit an Bord, von der man sich doch gerade befreien wollte: Anhängigkeit vom Strom, von der Hauptmaschine, vom Generator. Wehe, wenn der ausfällt! Abhängigkeit auch von Zivilisation. Denn in den seltensten Fällen kann man Störungen der komplizierten Systeme selbst beheben. Die „do it yourself“ – Technik auf der Freydis ist oft sehr unbequem und mühsam, hat sich auf unseren Reisen aber zigfach bewährt.“ 

Erich:  „Noch vor 20 Jahren, als wir das erste Mal in die Antarktis gesegelt sind, gab es weder Satellitennavigation, noch hatten wir Radar an Bord – das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen – aber wir navigierten noch wie zu Cooks Zeiten! Als wir vor 12 Jahren wieder auf die Große Reise gingen, haben wir uns GPS und Radar angeschafft: Auf beides würden wir nicht mehr verzichten wollen. Sie machen die Navigation problemloser und sicherer. Tatsache ist aber auch, dass dadurch etwas Entscheidendes verloren gegangen ist. Die Navigation ist heute keine Kunst mehr, wie sie es tatsächlich früher war – gewachsen aus viel Übung und langjähriger Erfahrung. Sie ist entzaubert. Das Glücksgefühl und der Stolz, wenn man sein Ziel genau dort auftauchen sah, wo man es erwartete, stellen sich heute nicht mehr ein.    

Doch um auf Ihre Frage nach einer moderneren Yacht zurückzukommen: Einmal haben wir allen Ernstes erwogen, uns ein neues Boot zuzulegen. Dann Dann brachten wir es aber doch nicht fertig, uns von der  „Freydis“ zu trennen.  Wir hängen sehr an dem Schiff.“ 

Heide: „Die Freydis zum alten Eisen? Das geht doch einfach nicht! Wir werden sie wieder aufmöbeln!“ 

  1. Mit Ihrer Ankunft hier in Cuxhaven geht ein entscheidender Abschnitt Ihres Lebens zu Ende. Hat man da schon Pläne für etwas Neues im Kopf? oder fällt man jetzt erst mal in eine Art Loch, oder haben sie jetzt erst mal ein Jahr vom Segeln die Nase voll? Und: nach all den Eindrücken von den schönsten Winkeln dieser Erde, ist da Deutschland überhaupt noch eine Heimat für Sie oder können Sie sich vorstellen endgültig einmal die Zelte hier abzubrechen um nur noch auf dem Boot zu leben?

Erich: „Konkrete Segelpläne für die Zukunft haben wir nicht. Erst einmal muss die Freydis, wie gesagt, gründlich überholt werden. Auch unser Haus wollen wir herrichten und unsere Erlebnisse der letzten Jahre aufarbeiten. Danach werden wir weiter sehen. In ein Loch fallen wir nicht: Es gibt genug neue Herausforderungen. Wir haben das Gefühl, dass ein Leben längst nicht ausreicht, um all das zu sehen, was wir gerne noch sehen möchten. Sicher ist jedoch: wir werden nicht mehr so viel segeln, wie bisher.“  

Heide: „Das viele Segeln in den letzten Jahren hat mich viel Kraft gekostet, deshalb ist mir eine längere Pause jetzt auch sehr willkommen. Wie lange sie dauern wird, das weiß ich noch nicht. Ich freue mich auf ein bisschen Ruhe: nicht mehr ständig auf dem Sprung sein und nicht mehr „aus dem Seesack“ leben müssen. Selbst in den Pausen zu Hause waren wir doch immer in Gedanken beim Boot, immer am Planen und am Packen. Und ich freue mich auch wieder mehr Zeit zu haben für meine Freunde, meine Familie – vor allem  für meine Mutter. 

Das trifft wohl auch schon den letzten Teil Ihrer Frage: Gerade w e i l  wir so viel unterwegs waren, haben wir unser Nest immer gebraucht – das steht in Deutschland und da wird es auch bleiben.“   

12.  Durch neun Bücher und viele Reportagen in der „Yacht“, in GEO und anderen  Zeitschriften sind sie zu bekannten Personen in der Fahrtenseglerszene geworden. Freut Sie das oder bereuen Sie das manchmal?

Erich: „Selbstverständlich freuen wir uns über Anteilnahme, die wir erfahren. In Reportagen und Büchern veröffentlichen wir aus diesem Grunde auch unsere Erlebnisse und Erfahrungen, und wir freuen uns, wenn sie gelesen werden. Dadurch erlangt man natürlich auch eine gewisse Bekanntheit. Über Vorträge und Veröffentlichungen stoßen auch immer wieder neue Segler zu unserer Stammcrew hinzu. Aber: Medienauftritte und Rummel sind nicht unser Ziel.  Für so etwas sind wir auch nicht sehr geeignet.“ 

(Das Interview führte Andreas Fritsch)

Gefahren: 

Die Gefahren und Risiken in der Natur sind natürlich bedrohlich, können dramatisch, ja tödlich sein. Wenn man aber mit diesen Gefahr rechnet, sie mit einplant, dann hat man – meistens jedenfalls – auch eine reelle Chance. Andererseits gibt es auch in der „abgesicherten“ Zivilisation genug Gefahren. Und im Gegensatz zur Natur, die „ehrlich“ und einem nichts vormacht, sind diese subtiler, vor allem zielgerichtet und deshalb nicht weniger zerstörerisch. 

Das Schönste beim Segeln:

Die Unabhängigkeit, die Weite oder der Raum, die Macht der Natur – Vulkane/Gletscher/Tierkolonien/Stürme/Eis…) die stumm macht, Frieden schafft in einem selbst und eine Art Fatalismus, der nicht lähmt, sondern glücklich macht.

Das Meer: Es hatte für mich schon immer etwas Anziehendes. Allein die Tatsache, dass alles Leben daraus entstanden ist, macht es geheimnisvoll und interessant. Das Auf und Ab der Wellen, das Kommen und Gehen in den Gezeiten, die Strömungen, die Tiere – uns fremd wie von einem anderen Planeten. 

Partner – Strandung: zeigte uns vorauf es eigentlich ankommt: dass man sich auf den anderen verlassen kann – hundertprozentig. 

Küche. Ich weiß wo alles zu finden ist und ich habe genug Erfahrung. Bei der Schaukelei muss es manchmal auch sehr schnell gehen. Seekrankheit…oder vor einem Sturm ist Eile geboten…. Aber sonst wie in einem Wohnwagen, stelle ich mir vor ….der allerdings schaukelt. Man muss ein bisschen kreativ sein, weil man unterwegs nichts Frisches kaufen kann, aber sonst…der Bauch der Freydis fasst einen kleinen Supermarkt, außerdem haben wir eine geräumige Kühltruhe. An die Maschine angeschlossenes Kühlsystem. 

               Arzt: Weener, Westerstede…Häufig sind Rückenbeschwerden/Bandscheibe, auch ich schon total blockiert…Strandung. Eine Mitseglerin hat sich sogar einen Wirbel an Bord gebrochen, ein anderer Mitsegler einen Finger mit der Anerkette, Schnittwunden, Verbrennungen (Schot durch die Hände gerauscht) etc. Natürlich Seekrankheit. Nichts Ansteckendes in kalten Gebieten. 

Wir lagen vor Madagaskar und hatten nicht die Pest, aber Malaria an Bord und in der Südsee bekam er Denguefieber… Unterwegs auf anderen Schiffen, in Melanesien – keine Ärzte, keine Krankenhäuser, keine Medikamente.  

Freydis: hat uns über alle Meere getragen und mit uns zusammen alle Stürme gemeistert – bis auf das eine Mal…hat uns eine Fülle von Erlebnissen gebracht. Für uns war es wie ein Wunder, dass wir mit diesem kleinen Boot s.o.

Kalmen: (Doldrums, Mallungen): Windarme Zone in der äquatorialen Tiefdruckrinne zwischen den Passatgürteln der Nord und Südhalbkugel bis 20° N und S (calme oder calma = still).

Rossbreiten: Windschwache Zonen des subtropischen Hochdruckgürtels (Azorenhoch!) (25°-35°N und 30°-40°S) Zwischen Passaten und Westwindgürtel.

Bezeichnung geht auf die Segelschiffahrt zurück. Weil die Fahrt verlangsamt wurde, gingen bei Pferdetransporten nach Südamerika viele Pferde wegen Futtermangel ein und wurden entsprechend über Bord geworfen.

Cuxaven 5.8.02

Heide Wilts         Änderung eines Textauszuges von Sigrid Hechensteiner:

Die Blauwassersegler Heide und Erich Wilts waren 12 Jahre lang unterwegs, zweimal um den Globus, einmal rund Antarktis. Feuer an Bord, Strandung, Knockdown…sicher nicht nur stressfreies Segeln. Aber, so Heide Wilts, in besonders kritischen Momenten habe es nie Spannungen gegeben, eher schon mal „beim lockeren Segeln in der Südsee etwa über die richtige Segelführung.“ 

Nach Ansicht der Wilts ist ein Schiff „kein Katalysator“ für Meinungsverschiedenheiten in einer Partnerschaft: „die gibt’s an Land genauso.“ Obwohl auf schwankendem Schiffsboden, haben sie eine solide Basis: „Wir begeistern uns an denselben Dingen und diese haben uns auch zusammengeschweißt. Das schließt nicht aus, dass wir auch mal die Klingen kreuzen.“