2013 – YACHT: Interview Erste Bilanz der Freydis III

Herr Wilts, Sie haben die Erfahrung aus 50 Segeljahren und über 300000 Meilen in den Bau Ihrer „Freydis“ einfließen lassen. Anderthalb Jahre und eine halbe Weltumsegelung später: Wie lautet Ihre Bilanz?  

Erich Wilts: Nachdem wir den Atlantik und den Pazifik achteraus haben – wir liegen derzeit in Australien –, kann ich sagen: Konzeptionelle Fehler haben wir nicht gemacht.   

Das wird manchen überraschen. Der klobige Kasten unter dem Rumpf zum Beispiel, der den Schwenkkiel aufnimmt, hat bei einigen Skeptikern, nun ja, eher für Heiterkeit gesorgt. 

Auch wir waren sehr gespannt, ob das alles so funktioniert. Diese Kielkasten-Konstruktion ist ja ein Novum, sie wurde nie zuvor so gemacht. Ob das Schiff zum Beispiel mit Luv- oder Leegierigkeit reagiert, oder ob die Box negativen Einfluss hat auf Abdrift oder Steuerverhalten, das musste sich erst in der Praxis zeigen. 

Und?

Es ist wirklich toll, das Schiff lässt sich viel besser steuern als seine Vorgängerin. Es springt leichter an und geht nicht so behäbig durch die Wellen. Die Segeleigenschaften leiden also überhaupt nicht unter der Kielbox. Wir sind transatlantik im Verbund mit einer neuen Hallberg-Rassy 49 gesegelt, der „Rainbow“, die nur das Teuerste und Beste an Bord hatte, inklusive Segel. Sie lief natürlich mehr Höhe, aber das war vorher klar. Sie war auch bei mittleren Winden schneller, weil sie erheblich leichter ist als die „Freydis“. Aber wenn wir die bunten Segel setzen konnten, haben wir sie abgemeldet. Da gab es kein Halten mehr.

Und die gewöhnungsbedürftigen Proportionen der Yacht? Die „Freydis“ ist äußerst hochbordig, das Deckshaus ragt drei Meter aus dem Wasser.

Auch das hat sich genau so ausgewirkt wie beabsichtigt. Die „Freydis“ segelt deutlich trockener, wirklich gut, das ist bequemes Segeln. Die Befürchtungen, dass sie bei Starkwind leichter und heftiger krängt oder dass es da oben ungemütlich schaukelt, die waren unberechtigt. 

Das Konzept ist sicher nichts für Ästehten, beschert Ihnen aber eine Menge Raum.

Das ist so ein Thema. Ja, es gibt viel Platz, und unsere Mitsegler haben es komfortabler als früher. Aber es fehlt Stauraum.

Bei dem enormen Volumen?

Wir haben es halt anders genutzt. Unter anderem ist der Maschinenraum bequem begehbar, was sich bereits als sehr vorteilhaft erwiesen hat. Eine Königslösung, die beiden Ansprüchen gerecht wird, habe ich da nicht. Aber was ich heute von der Aufteilung her sicher anders machen würde: einen Platz mit einer separaten Steckdosenleiste einrichten. Die Sitzecke im Salon ist meistens komplett belegt mit irgendwelchen Ladekabeln. 

Das Schiff entstand unter dem Leitgedanken: Alles eine gute Nummer größer dimensionieren, als man es normalerweise macht – ein kluger Angang?

Unbedingt, auch wenn es natürlich Gewicht an Bord gebracht hat. Wir hatten schon manches Mal Zweifel, ob wir das allein schaffen in unserem Alter, den Umgang mit den riesigen Bäumen und mit dem Groß, das immerhin 50 Prozent mehr Fläche hat als das alte. Da wirken schon andere Kräfte, und es war anfangs nicht klar, ob wir immer alles im Griff behalten. Aber es geht bestens, und man muss sagen: Es ist ein Meisterstück, was Selden da als Rigg geliefert hat: vom Handling klasse, von den Anordnungen so sinnvoll, und es ist alles vernünftig dimensioniert. Aber das Prinzip hat sich auch anderswo bewährt.

Zum Beispiel?

Wir haben mehrere riesige Filter für den Diesel, die haben uns manchen Ärger erspart. Verunreinigter Kraftstoff wird zunehmend zu einem Problem, das ist wirklich auffällig, ein ganz zentrales Thema unter Blauwasserseglern. Sehr, sehr viele Skipper haben damit zu tun, überall die gleichen Geschichten. Im Übrigen ist daran auch die Weltumsegelung unserer Freunde von der „Rainbow“ gescheitert. Das Schiff liegt jetzt mit Maschinenschaden in Südamerika. Uns hat wohl auch eine ausgeklügelte Konstruktion vor etwas Ähnlichem bewahrt. Der Diesel gelangt durch die Filter in einen Tagestank, und alles, was dann noch an Schmutz darin ist, kann man dort problemlos ablassen und beseitigen. Auch haben wir mit Additiven nicht gespart. 

Das alles klingt fast hymnisch – was hat denn nicht funktioniert, was hätten Sie besser machen können?

Oha, da ist in den anderthalb Jahren unterwegs natürlich auch ein ganzer Schwung zusammengekommen.

Schießen Sie los.

Das Antifouling war eine Katastrophe. Ich musste es in Lissabon zum ersten und in Panama zum zweiten Mal erneuern. Dabei war es sündhaft teuer. Ein amerikanisches Produkt, das offenbar kaum noch etwas enthält, das tatsächlich wirkt gegen Bewuchs. Wir haben uns dann in Panama Farbe aus der Berufsschifffahrt geholt. Der Anstrich ist jetzt in Australien noch einwandfrei. Es macht auf Strecke so viel aus. Wenn der Bewuchs runter ist, läuft das Schiff, als hätte man eine Handbremse gelöst. Die Bordelektronik funktioniert auch nicht störungsfrei, Plotter, einer der Autopiloten, Windanzeiger und Logge. Und dann war da noch die Geschichte mit dem Wassertank.

Was war damit?

Wir lagen auf Gran Canaria und hatten Besorgungen zu machen. Die Crew sollte in der Zwischenzeit Frischwasser bunkern. Als wir ungefähr nach zwei Stunden wiederkamen, standen die Mitsegler immer noch auf der Pier und unterhielten sich fröhlich, das Wasser lief. Da habe ich mit das Schiff angesehen und gesagt: „Leute, wo ist denn unser Wasserpass geblieben.“ Die „Freydis“ war mittlerweile ordentlich vollgelaufen, die Bodenbretter schwammen schon, das Wasser stand direkt an der Maschine. Das hätte auch ganz anders ausgehen können. Ich bin jedenfalls froh, dass ich den Elektriker seinerzeit davon abhalten konnte, die Zentraleinheiten tief unten im Schiff zu installieren.

Was ist passiert?

Wir haben einen 800-Liter-Kunststoff-Tank, und der war beim Einbau nicht richtig fixiert und stabilisiert worden. Im Seegang ist diese Masse dann in Bewegung geraten, und irgendwann riss der Tank auf 50 Zentimeter Länge. Mit den Tanks haben wir nicht so richtig Glück gehabt.  

Mit „den“ Tanks?

Ja, das gilt auch für Kraftstoff. Beim ersten Einfüllen drücke ich die Zapfpistole, und peng, fliegt mir der Diesel ins Gesicht. Da hatten die Tischer beim Einbau der Verschalung ein Entlüftungsrohr abgeknickt.  Aber finden Sie solch eine Ursache mal! Und finden Sie eine Erklärung dafür, warum wir in einen 2000-Liter-Tank nur 1500 Liter hineinbekommen.

Haben Sie keine?

Irgendwo muss eine gewaltige Luftblase sein. Wenn ich im Wechsel immer die ganze Crew aufs Vor- und Achterschiff scheuche, bekomme ich noch 150 Liter hinein. Aber da bleibt ja immer noch richtig Volumen übrig, so um die zwei Fässer! Ich weiß bis heute nicht, wo sich diese Blase befindet. An die Stelle müsste jedenfalls noch eine Entlüftung. Ansonsten gibt es keine größeren Baustellen, eher das übliche: defekter Herd, gebrochene Toilettenpumpe, Riss im Groß, leckende Stopfbuchse, so etwas.

Sie fahren am Heck je zwei Wind- und Wassergeneratoren, verzichten aber auf Solarenergie. Leiden Sie Strommangel?

Überhaupt nicht. Die Windgeneratoren arbeiten ganz vorzüglich, aber sie können nicht zu 100 Prozent den Bordstrombedarf decken. Bei durchgehend mehr als 20 Knoten Wind haben sie allerdings sogar das fast geschafft. Mit den Wassergeneratoren hatten wir Probleme, sie waren im Betrieb ungeheuer laut, das war insbesondere in den Achterkammern schwer auszuhalten. Da mussten wir zur Gerüschdämmung eine Gummipuffer-Konstruktion zur Bordwand hin nachrüsten. Aber abgesehen von dem Krach: Wenn sie arbeiten, dann schwelgen wir in Strom. Sie reichen locker für den Betrieb von zwei Kühlschränken, einer Tiefkühltruhe und des Autopiloten, das sind die vier stärksten Verbraucher an Bord. Unsere Überlegung war also richtig: Allein mit Wasser- und Windgeneratoren kann man seinen Energiebedarf decken. 

Sie haben mittlerweile 18 Reiseabschnitte absolviert, davon die letzten beiden allein mit Ihrer Ehefrau. Ist das 28 Tonnen-Schiff zu zweit zu beherrschen?

Ja, das ging bestens. Wobei ich mir im Nachhinein ein Bugstrahlruder wünschen würde, für bessere Manövrierfähigkeit in den kleinen Häfen. Aber es funktionierte schließlich auch so, es gab keine verpatzte Situation. Und auf See habe ich in Sachen Bedienung mit kleiner Crew gar nichts zu kritisieren. Insbesondere hat sich da die Großzügigkeit bei Decksalon und Cockpit ausgezahlt. Beide Törns ohne Gäste haben wir ausschließlich dort oben verbracht. Und wenn Crew an Bord ist, dann ist das das Zentrum, wo immer genug Platz ist, damit sich alle bequem dort aufhalten können. Und das tun sie auch.  

Ist das Alleinsegeln nach vielen Monaten mit sechs Gästen an Bord auch eine Wohltat? 

Man braucht das mal. Unsere Mitsegler sind prima, wirklich toll, aber irgendwann Ruhe zu finden, ja, das tut schon gut. Das Schönste dabei ist, dass man sagen kann: Ich bleibe noch einen Tag oder zwei oder drei. Bei einer Crew hingegen muss man Rücksicht nehmen auf den exakten Zeitplan, die Wünsche der Leute und diverse Zwänge, zum Beispiel gebuchte Flüge. 

Wenn Sie diese anderthalb Jahre Revue passieren lassen …  

… müssen wir zwingend über das Wetter sprechen. So etwas habe ich noch nicht erlebt.

Was war denn dieses Mal anders als auf den sieben Weltreisen zuvor?

Mit „untypisch“ ist das Wetter nicht ausreichend beschrieben. Schon von der Ems bis nach Lissabon hatten wir den Wind permanent von vorn, weil das Islandtief monatelang nicht an seiner üblichen Stelle lag, sondern 1000 Meilen südlicher über Irland. So etwa habe ich vorher weder erlebt, noch habe ich davon gehört. Es gab kein Entrinnen. Dann hielt der tropische Sturm „Nadine “ von Madeira aus auf Portugal zu, dann bestimmte wochenlang der riesige Hurrikan „Sandy“ das Wettergeschehen auf dem Nordatlantik. Und auf dem Törn über den Ozean herrschten statt des erwarteten Nordostpassats überwiegend umlaufende Winde und Flauten. 

Hat der Pazifik Sie versöhnen können?

Da ging es genau so verrückt weiter. Die Strecke von den Galapagos zu den Marquesas – über 3000 Seemeilen – gilt vielen Seglern als schönste Passatstrecke überhaupt: Man trimmt die Segel und lässt unter Selbststeuerung laufen, tagelang, wochenlang. Diesmal hatten wir zu Beginn kaum Wind, oft sogar totale Flaute. Immer wieder musste die Maschine herhalten. Dann nistete sich ein Tiefdruckgebiet in der Kalmenzone ein und brachte uns eine Woche böige Walzen und Regen, Regen und Walzen. Ein wilder Ritt mit drei Reffs im Großsegel.

Wann wurde es ruhiger?

So gut wie gar nicht mehr, das war übrigens nicht nur unsere Wahrnehmung, das haben auch die Einheimischen gesagt. In den Tuamotus haben wir keine Nacht gehabt, in der wir nicht gezittert haben. Wir lagen einmal vor 75 Meter Kette an einem eigentlich sicheren Ankerplatz, dabei die ganze Nacht halbwach im Cockpit mit einer Hand am Zündschlüssel. Bis Australien haben wir keine einzige halbwegs normale Wetterlage erlebt. Dabei hatten wir uns in der Planung bestens informiert, unter anderem im Atlas und in den Tafeln von Jimmy Cornell– das hatte aber alles nichts mit der Realität zu tun. Ich kann sagen: Das Wetter hat uns zwei Jahre lang malträtiert. Das schöne Passatsegeln, wie wir es kennen und wie es normal ist, gab es in der ganzen Zeit nicht über einen kompletten Tag. Und überhaupt gleichmäßigen Wind nicht für zwei Tage am Stück. Wir hatten seit der Ausreise im Juli 2012 überall Windverhältnisse, die es da normalerweise nicht gibt.

Im Januar setzten Sie Ihre Reise mit Kurs auf Japan fort, wo Sie die Vorgängerin der „Freydis“ im Tsunami verloren haben. Sicher keine Reise mit frohem Mut.

Doch, wir freuen uns sehr darauf. Ich habe gar keine schlechten Gefühle. Wir wollen auch noch einmal in die Nähe von Fukushima, wo die alte „Freydis“ verloren ging, nochmal über Land gucken, unsere Freunde besuchen. Ich bin voll gespannter Erwartung. 

Und wie geht es seglerisch weiter?

Im Mai endet der kommende Törn in Osaka, danach bleibt das Schiff in der Gegend, vielleicht ergeben sich einige kürzere Reisen. Im April 2015 soll es dann weitergehen nach Sibirien und Alaska, schön wär’s jedenfalls. 

Sicher ist das nicht?

Wir planen nicht mehr so weit im Voraus. Mal sehen, wie fit wir dann sind. Aber man braucht ja Ziele.