Das Lächeln der Delphine – Heide Wilts 1994

Heide Wilts im September 1994

Wer jahrelang über die Ozeane segelt, lernt auch viele seiner Bewohner kennen. Das Kennenlernen ist allerdings zumeist einseitig aufs Beobachten von Bord aus beschränkt. Aber wer will einen Hai oder Stachelrochen auch näher kennen lernen – außer vielleicht zu wissenschaftlichen Zwecken? Mit Walen ist das schon etwas Anderes. Diesen intelligenten Meerestieren gilt unsere große, spät, vielleicht zu spät entdeckte Zuneigung. „Whale watching“ hat sich endlich als wesentlich einträglicheres Geschäft herausgestellt als whale catching und Delphine sind unsere ganz besonderen Lieblinge.

Schon die alten Griechen sahen in ihnen eine Art „bessere Menschen“, Freunde und Retter in der Not und es galt als ein gutes Omen für die Reise, wenn sie auf der Bugwelle eines Schiffes ritten. Ihr Name leitet sich von „Delphys“ (der Schoß) ab, Symbol für Liebe und Fruchtbarkeit. Apollo, Gott der Jugend und Schönheit, soll sich gelegentlich in einen dieser Meeresbewohner verwandelt haben. (dass Delphine wesentlich potentere Liebhaber als Menschen sind, mag für den göttlichen Schürzenjäger dabei sicherlich eine erfreuliche Dreingabe gewesen sein). Der Ruhm des Delphins kannte keine Grenzen. Sein Konterfei ziert nicht nur altgriechische Münzen, Medaillons, Vasen und Schalen, sondern auch unseren Himmel als riesiges Sternbild. Noch bis Anfang des 19. Jahrhunderts erhielt der älteste Sohn des Königs von Frankreich den Ehrentitel „Dauphin“.

 

In Homers „Odyssee“ wird Telemachus, Sohn des Odysseus, von einem Delphin vor dem Ertrinken gerettet. Eine Legende, die zweifellos auf Tatsachen beruht. Immer wieder, auch in unserer Zeit, hören und lesen wir von Delphinen, die Kinder oder Erwachsene vor dem nassen Tod errettet haben. Doch trotz aller Achtung und Beachtung haben wir’s den Tieren nicht gedankt.

„Ich habe eine wahre Geschichte für sie, obwohl sie alle Qualitäten einer Fabel in sich trägt“ beginnt der Geschichtsschreiber Plinius und berichtet über eine Begebenheit, die sich in einer römischen Niederlassung der nordafrikanischen Stadt Hippo zugetragen hatte. Ein Delphin hatte sich dort mit einem Jungen angefreundet, ihn auf seinem Rücken reiten lassen und war manchmal sogar gestrandet, nur um mit seinem menschlichen Kameraden zusammen zu sein. Die ungewöhnliche Freundschaft erregte viel Aufsehen und selbst der Legat des Statthalters Octavius Avitus wurde auf sie aufmerksam. Viele einflussreiche Leute, die davon hörten „kamen, um das Phänomen mit eigenen Augen zu sehen“. Zunächst waren die Leute von Hippo erfreut über ihren neugewonnenen Ruhm. Aber nach einiger Zeit fingen sie an, sich zu beklagen. Durch die zahlreichen Besucher schwand der Nahrungsmittel-Vorrat der Stadt und mit der Ruhe, welche die Bewohner schätzten, war’s auch vorbei. „So wurde heimlich beschlossen, den Grund der Invasion zu beseitigen“, berichtet Plinius traurig. Der Delphin wurde getötet.

Eine ähnliche Geschichte spielte sich 1955 an der Küste Neuseelands ab. Dort war der Delphin „Opo“ zu Berühmtheit gelangt. Auch er ließ Kinder auf sich reiten und die Stadt Opononi, nach der Opo benannt worden war, wurde bald von Touristen überlaufen. Ganz Neuseeland liebte Opo, die Regierung erließ sogar eigens ein Gesetz zu seinem Schutz. Doch just am dem Tag, an dem es in Kraft treten sollte, war Opo tot, auf mysteriöse Weise gestorben.

Schon lange habe ich davon geträumt, einmal mit einen „wilden“ Delphin in näheren Kontakt zu treten. Außer in antarktischen Gewässern, wo mir zu solchen Späßen nicht zumute war, habe ich immer wieder sehnsüchtig die Beine durch den Bugkorb hinunter gestreckt, wenn sie wieder mal in unserer Bugwelle dahin galoppierten, um sie wenigstens mit den Füßen zu berühren Doch nie hatte ich Erfolg. Ganz im Gegensatz zu den Seelöwen, die beim gemeinsamen Schwimmen und Tauchen ungemein zutraulich sind, wollten Delphine nie etwas von mir wissen, hielten stattdessen lieber auf Abstand Ich musste ihre Zurückhaltung respektieren, meine Annäherungsversuche gab ich trotzdem nicht auf. Aber auch der eingeübte Kuss eines zahmen Delphins in Durban’s „Sea World“-Show, bei der ich mich als „Kussobjekt“ zur Verfügung gestellt hatte und anschließend triefnass und unter lautem Johlen der Zuschauer auf meinen Platz zurück wankte, brachte mir nicht die erträumte Erfüllung.

Und selbst unser Delphin-Erlebnis auf Fernando Noronha, das ich hier schildern will, weil es nur wenige Orte auf Erden gibt (eben diese Leon-Bucht auf Fernando Noronha und die Kealakekua-Bucht der Hawaii-Insel) wo man die Tiere in größerer Zahl das ganze Jahr über beobachten kann, schürte meine Neugier und mein Verlangen auf nähere Bekanntschaft nur umso mehr…

Der Biologe Jose‘ Martin arbeitete auf der Insel an einem Projekt zur Erforschung der Delphine. Er holte uns eines Morgens mit dem Landrover ab und fuhr mit uns zum Delphin-Beobachtungsposten, der am Rand eines 150 Meter hohen, halbkreisförmigen Felsenkliffs liegt, das eine große, nahezu strandlose Bucht umgibt. Von dort oben hatten wir einen herrlichen Blick auf das klare grüne, sich zum Ausgang der Bucht immer tiefer blau verfärbende Wasser bis weit hinaus auf‘s offene Meer. Wir entdeckten Schildkröten, die dicht unter der Wasseroberfläche auf gelben Korallenköpfen weideten und immer mehr Delphine, die eine wahre Akrobatikshow abzogen. Paarweise oder in kleinen Gruppen schwammen sie durch die Bucht, dabei immer wieder mehrere Luftsprünge hintereinander vollführend, in die sie auch noch Doppel- und Dreifachaxel einbauten, geradeso, als wollten sie bei einer Kür den höchsten Schwierigkeitsgrad erreichen. Ihre kunstvollen Sprünge haben ihnen den Namen „Gofinos rotatores“ (rotierende Delphine) eingebracht. In der Bucht paaren sich die Tiere, gebären ihre Jungen und ziehen sie auf, und hier finden sie Ruhe, wenn sie bei Sonnenaufgang von See zurückkehren, wo sie meist über Nacht fischen, erklärte uns Jose‘. Früher seien sie häufig durch Fischer, Taucher und Tierbeobachter gestört worden. Sie hatten sich immer seltener dort aufgehalten. Erst als die Bucht vor ein paar Jahren für alle Schiffe gesperrt worden sei, habe ihre Zahl wieder zugenommen. 80 zählte Jose an diesem Morgen, darunter auch Jungtiere. Zehn Monate dauert die Tragzeit, erfuhren wir, und bei der Geburt sind die Jungen ca. 80 cm lang. Erwachsene Tiere erreichen durchschnittlich 1.90 m und 90 kg. – Größe und Gewicht eines kräftigen Menschen also.

Kaum zu glauben, wenn man ihrem Pirouettentanz auf dem Wasser zuschaute, der so federleicht, anmutig und spielerisch erschien. Was sie zu dieser Leistung treibt, konnte uns Jose‘ auch nicht sagen. Ist es eine kraftvolle Art der Kommunikation untereinander? Schiere Freude am Leben vielleicht? Man hätte es fast glauben mögen, denn ein bisschen davon übertrug sich beim Anblick auf uns selbst. Soviel zur brasilianischen Insel Fernando de Noronha, nun aber zurück nach Westaustralien.

Wir pilgern nach Monkey Mia in der Shark Bay, 800 Kilometer nördlich von Fremantle. Dort sollen freilebende, „wilde“ Bottlenose-Delphine (enge Verwandte der Rotatores) häufig zum Strand kommen, um Kontakt mit Menschen aufzunehmen. Vielleicht finde ich dort, was ich suche?
Die sagenhafte Shark Bay, westlichster Punkt des Kontinents, ist ein großer, von Riffen, Halbinseln und Inseln eingeschlossener Meeresbusen, in dem sich eine reichhaltige Fauna und Flora entwickeln konnte. Im struppigen, unzivilisierten, trockenen „Outback“ Westaustraliens gelegen, zeigt ihre Umgebung einprägsame Kontraste einer Steppenlandschaft: weiße Schafe auf rostroter Erde, fahlgrünes Eukalyptusgebüsch, bunte Papageien auf gelben Kürbissen, Emus mit metallisch glänzendem Federkleid vor blassblauem Himmel. Auf dem einsamen Highway wahre Ungeheuer von Lastzügen, staubpanierte Autos, Landrover mit Stoßstangen wie Scheunentore. Am Straßenrand stattliche, weißbraun-gescheckte Greifvögel und pechschwarze Raben mit weißen Gespensteraugen auf Känguru-Kadavern ohne Ende.

Ihren Namen erhielt die Bucht von dem Entdecker-Piraten William Dampier, der die Bucht 1688 besuchte und in ihr einen Monster- Tigerhai erlegte. Dampier, von dem Lord Byron schrieb, er sei der sanftmütigste Mann, der jemals Schiffe versenkt und Kehlen durchschnitten habe, war jedoch nicht der erste Europäer in Shark Bay. Am 25. Oktober 1616 war bereits Dirk Hartog hier gelandet, Kapitän des holländischen Handelsschiffes „Eendracht“, der damit gleichzeitig Entdecker der „Terra Australis“ wurde (James Cook kam erst 160 Jahre später nach Australien). Und noch eine „Erstleistung“ in der Shark Bay: Die erste Europäerin, die ihren Fuß auf australischen Boden setzte, landete l818 nördlich von Monkey Mia, wo noch heute Kap „Rose“ ihren Namen trägt. Soviel zur Geschichte.

Die Monkey Mia Bucht liegt an der Ostseite einer Halbinsel, die ins geschützte Innere der Shark Bay ragt. Auf dem Caravan- und Zeltplatz mieten wir uns eine kleine Hütte direkt am Strand, damit wir ja keines der Delphin-Wundertiere verpassen. Ob wir eines zu sehen bekommen, ist trotzdem ungewiss; sie kennen schließlich keine festen „Show“-Zeiten und kommen und gehen ganz nach eigenem Belieben.
In der „Delphin-Informationszentrale“, einem kleinen Holzhaus am Strand, kann man sowohl von den Wildhütern, als auch aus Büchern und Videos viel Interessantes über Delphine erfahren.

Zum Beispiel, dass Delphine ihre Umgebung nicht nur mit den Augen, sondern auch, wie alle Wale, mit Hilfe ihres Sonars (Echo-Ortungsorgan am Kopf) wahrnehmen. Nur wenn sie schlafen, senden sie keine Sonar-„Klicks“ aus. Sie schlafen halbhirnig, mit nur einem geschlossenen Auge, und können von einem Moment auf den anderen die schlafende Seite wechseln oder wieder „beidäugig“ und mit eingeschaltetem Sonar „Ausschau“ halten. Mit Letzterem können sie nicht nur Objekte lokalisieren und sich im Ozean zurechtfinden, sondern ähnlich wie mit unseren in der Medizin verwendeten Ultraschallgeräten, durch Lebewesen hindurch- und in sie hinein-„sehen“. Schon auf den ersten „Klick“ erkennen sie, ob diese sich fürchten, freuen, hungrig sind oder krank, ob sie Krebs haben oder schwanger sind. Kaum etwas bleibt ihnen verborgen. Um all diese Informationen zu verwerten, bedarf es eines hochentwickelten Gehirns, das Delphine zweifelsfrei auch besitzen. Doch weil sie in einer Welt aus Wasser leben und ganz andere geistige Fälligkeiten als wir entwickelt haben, ist ihre „Intelligenz“ nicht mit der unseren vergleichbar, gar an unserer messbar. Es scheint schwer, auf dem schmalen Grat der Überschneidung ihrer und unserer Gefühls- und Gedankenwelt eine Verständigung herzustellen, am gutem Willen (beiderseits) scheint es – jedenfalls in Monkey Mia – nicht zu mangeln.

Für Yachties wie uns ist interessant, was wir über die Haut der Delphine hören. Sie soll von wunderbarer Beschaffenheit sein und den Meeressäugern ein „turbulenzfreies“, und somit energiesparendes Gleiten durchs Wasser ermöglichen. An dieser großartigen Erfindung der Natur haben schlaue Strömungstechniker Anleihe genommen und Atom-U-Boote mit einer, der Delphinhaut nachgeahmten, Schicht aus Gummi und Silikon verkleidet. Und als es 1987 darum ging, Fremantle den America‘s Cup wieder abzujagen, wartete das Syndikat des amerikanischen Herausforderers „Stars und Strips“ auf den letzten Etappen mit einer Geheimwaffe auf: man klebte eine angeraute, künstliche Delphinhaut aufs Unterwasserschiff: Siehe da, jetzt segelte die Yacht dem Verteidiger davon und Skipper Dennis O’Connor konnte den heißbegehrten Preis zurückholen.

Auch die Sache mit den Schwämmen will ich hier erwähnen, die ich nachträglich aus der Tageszeitung erfuhr. Überschrift: „The new-look dolphins“. Wissenschaftler hatten in der Shark Bay mehrere Delphine beobachtet, die hutförmig wachsende Schwämme vor dem Maul trugen. Eine bloße Modetorheit scheint das allerdings nicht zu sein. Die Experten vermuten eher, dass die Delphine auf diese Weise ihr schnabelförmiges Maul und Gesicht schützen, wenn sie nach Plattfischen gründeln.

Wir erfahren auch, wie in Monkey Mia alles begann: 1964 hatte eine Fischersfrau in der Bucht einen Delphin vom Boot ausgefüttert. Der Delphin kam immer wieder, sogar bis zum Strand. Ihm folgten bald weitere Tiere. Das „Wunder von Monkey Mia“ sprach sich herum (offensichtlich auch unter den Delphinen) und zog viele Menschen an. Aber erst die vor wenigen Jahren fertiggestellte Asphaltstraße brachte der Bucht einen regelrechten Besucherboom. Man kann nur hoffen, dass sich in Monkey Mia die traurige Geschichte von Hippo und Opononi nicht wiederholt.

Da die Sonne am Nachmittag immer noch warm in die Bucht scheint, unternehme ich gleich einen Spaziergang entlang dem fast menschenleeren Strand, um nach den Meeressäugern Ausschau zu halten und Muscheln zu suchen. Draußen in der Bucht entdecke ich eine schwimmende Perlenzüchterei. Schon William Dampier hatte die Perlen der Bucht erwähnt, später wurden sie zu Schmuck verarbeitet. Barocke Perlen verkaufte man nach China, wo sie zerstampft als Aphrodisiakum galten. Am Strand jede Menge Austernschalen mit dem eigenartig goldgelben Shark-Bay-Perlmutt, von dem ich gehört habe und aus dem vor der Plastik-Ära Knöpfe hergestellt wurden. Ich finde zwar keine Perlen, aber ich habe trotzdem Glück. Als ich anhalte, weil am Strand vor mir ein kleines Mädchen im Wasser spielt, neben dem ein großer Pelikan mit dem wachsamen Blick eines Babysitters steht, muss noch jemand Gefallen an diesem Duo gefunden haben, denn plötzlich schießt ein Körper mit dunkler Dreiecksflosse wie ein Torpedo durchs Wasser auf die beiden zu. Ganz klar, der erste Delphin! Er stoppt direkt vor dem Kind, das den stürmischen Besucher zu kennen scheint und freudig aufkreischt. Der Vater kommt angerannt und beide begrüßen und streicheln das freundliche Tier. Ich kann mein Glück kaum fassen, schon in den ersten Stunden bin ich Zeuge einer so traumhaften Szene? Und das ist noch nicht alles, denn gleich darauf schwimmt der Delphin auch zu mir und indem er sich ein wenig auf die Seite dreht, um der anstrengenden Prozedur des Kopfhebens in dem 20 cm flachen Wasser zu entgehen, mustert er mich aus einem seiner tiefgründigen dunklen Augen. Ganz ruhig verhält er sich, als ich mich zu ihm hinabbeuge und mehrmals sanft über seine Flanke streiche, die sich angenehm samtig anfühlt. Langsam umkreist er mich und dreht sich auch zur anderen Seite, um liebkost zu werden, ganz wie Freunde in Australien nicht nur die eine, sondern auch die andere Wange zum Begrüßungskuss hinhalten. Aber dann prescht er plötzlich mit gewaltigen Sprüngen davon, wie einer, der sich einen tollen, waghalsigen Spaß erlaubt hat, sich nun aber schnell wieder in Sicherheit bringt.

Einmal zumindest muss dieser „Draufgänger“ zu viel gewagt haben, denn er hat nicht nur ein Loch in der Finne, sondern auch große Narben auf Rücken und linker Flanke. Ich fragte mich, ob es wohl Narben eines Sonnenbrandes durch zu langes Verweilen in flachem Wasser sind. Die Wildhüterin Shirley bestätigt später meinen Verdacht „Es war Holly Fin, die dich begrüßt hat, ein älteres Weibchen. Im Oktober 1987 tauchte sie plötzlich mit einem schrecklichen Sonnenbrand auf, hatte hässliche Blasen und eine große offene Wunde am Körper. Sie muss sich irgendwie mit der Tide verkalkuliert haben und gestrandet sein. Unsere Leute gaben ihr Antibiotika, die sie in Fisch verpackten. Das hat sie wahrscheinlich vor einer tödlichen Infektion bewahrt. Die Wunde heilte, wenn auch sehr langsam.“
Holly Fin war also auch gestrandet, dachte ich voll Mitgefühl.

Dieses erste, ganz und gar unverhoffte Zusammentreffen mit einem freilebenden Delphin, hatte etwas tief Bewegendes für mich. Nie werde ich die sanften Blicke dieser großen feuchten Augen vergessen. Am Abend kommt es mir vor, als sei ich der ‘Traumzeit“, diesem schönen Begriff aus der Aborigines-Mythologie, einen ganzen Schritt nähergekommen. Die Traumzeit umschreibt den Anfang alles Lebens, als Menschen und Tiere noch gleichwertige Partner waren und noch eine gemeinsame Sprache hatten. Traumzeit ist jedoch auch Gegenwart und Zukunft in alle Ewigkeit und das Leben lebendig gewordener Traum.

Am Tag darauf und auch am nächsten und übernächsten, sehe ich „Holly Fin“ wieder, und lerne auch Holly Fins Tochter und Enkelkind kennen, ein 1½-jähriges Junges, das noch am „Rockzipfel“ seiner Mutter hängt und von ihr gesäugt wird. Dazu gesellt sich noch ein hochträchtiges Weibchen, von dem Shirley weiß, dass es im Jahr zuvor sein Junges verloren hat (eine badende Touristin will gesehen haben, wie es in der Bucht von einem Hai gefressen wurde) und meist noch drei oder vier weitere, die zur gleichen Gruppe gehören und die alle Namen bekommen haben wie Flip, Zippy, Nook und Cranny. Bevor sie „anlanden“, wobei sie sich im flachen Wasser amphibienartig mit den Brustflossen auf dem Sand abstützen, sieht man sie meist in der Bucht hin und her patrouillieren. Als wir frühmorgens, vor Kälte schlotternd, wieder mal stundenlang auf sie warten und dabei in Reih und Glied wie Soldaten beim Appell nebeneinander im Wasser stehen, meint eine Dame süßsauer: „ich glaube fast, die Delphine schauen sich unsere Show an“, und eine andere lachend „Na klar, sie trainieren uns doch gerade!“ Wir strecken ihnen die Arme entgegen, versuchen ihre Aufmerksamkeit durch sanfte Schläge aufs Wasser auf uns zu lenken, reden in den unterschiedlichsten Sprachen auf sie ein, als sie sich schließlich, ebenfalls unterschiedlichste Töne von sich gebend, nähern. Aus Angst vor Haien kommen wir ihnen allenfalls bis Kniehöhe entgegen. Dass man dort, wo Delphine patrouillieren, sicher ist vor Haien, scheint nach allem was wir hören, reiner Aberglaube.

Holly Fin ist meist die erste, die sich einfindet. Ohne Scheu und mit sichtlicher Freude begrüßte sie ihre „Fans“, die sie ehrfurchtsvoll streicheln, darunter natürlich auch ich. Einige der Tiere sind zurückhaltender, verstecken sich lieber hinter den Wildhütern, von denen immer einer zum Strand kommt sobald sich Delphine dort sehen lassen. Wie kleine Kinder hinter Muttern, plieren sie neugierig zu den fremden Menschen hinüber. Einige zeigen Narben oder frischere Schnittwunden. „Von Haien und Schiffspropellern“, erklärt uns der Wildhüter, unter dessen Aufsicht die Fütterung verläuft. Diese ist auf eine geringe Anzahl kleiner Fischen beschränkt, die Tiere sollen nicht aus Bequemlichkeit das Jagen verlernen, oder gar überfüttert werden von der ständig wachsenden Zahl an Touristen, Tierfreunden und Wissenschaftlern aus aller Herren Länder. Dass die Pelikan-Giganten diese Delphin- Fütterungszeremonie relativ ungestört geschehen lassen, ist darauf zurück zu führen, dass sie ihre Zuteilung immer schon im Voraus bekommen. Trotzdem werden sie manchmal recht unverschämt, reißen ahnungslosen Touristen, vor allem aber kleinen Kindern den Fisch aus den Händen (von wegen Babysitter!). Delphine dagegen nehmen den gereichten Fisch ungewöhnlich artig und ohne jedes Zeichen der Gier entgegen. Sie schlucken ihn ganz und gebrauchen ihre 180 kleinen spitzen Zähnchen nur zu ihrem bekannten charmanten Lächeln, wobei diese menschliche Interpretation ihres Gesichtsausdrucks natürlich nichts über ihre wahre Stimmung aussagt. Ebenso gut könnte man behaupten, ein Krokodil lächle oder ein Hai. Aber das „Lächeln“ der Delphine ist eben nicht nur breites Maul oder typische Lachfältchen, sondern scheint mir Ausdruck ihres gesamten, freundlich-verschmitzten, anmutigen Wesens. Dass man diese Tiere auch zu Kriegs-Zwecken oder gar zum Töten abrichten kann, spricht nicht gegen sie, sondern gegen uns.

Was muss ein Delphin allein an Ängsten und Hemmungen überwinden, um sich in derart flaches Wasser zu wagen, sich praktisch auf den Strand zu legen – eine Position, die er doch sonst unter allen Umständen zu vermeiden sucht, in der er völlig wehrlos und verwundbar ist. Ein völlig unübliches Verhalten bei wilden Tieren auch, sich freiwillig, voller Vertrauen und noch dazu gerne streicheln zu lassen. Die Freude am Kontakt mit den Menschen scheint all diese Schranken zu brechen.

Und was ist unsere Antwort? Einige Nationen haben immer noch eine nicht nur herzlose, sondern auch verantwortungslose Haltung gegenüber Walen und Delphinen. Moderne Fischfangmethoden töten noch immer Hunderttausende von Delphinen. In den 70ern ertranken allein in den U.S Tunfischnetzen im Pazifik 400.000 Delphine jährlich. Nach einem Aufschrei der Öffentlichkeit und einer Modifizierung der Netze, war 1979 der jährliche Delphin-Beifang auf 21.500 zurückgegangen (als ob das eine annehmbare Zahl wäre!). Russland, Mexiko, Taiwan, Spanien, Ekuador. Costa Rica und Venezuela fischen zudem ebenfalls Tunfisch, und das ohne jegliche Kontrolle. Japaner schlachten Delphine mit der Ausrede ab, dass sie „ihren“ Fisch wegfingen, sie dadurch ruinierten, dabei ist der Rückgang der Fischfänge in der allgemeinen Überfischung zu suchen.

Aber zurück zur Fütterung. Manchmal verläuft sie „paradox“, wenn nämlich die Delphine plötzlich den Menschen die Fische bringen. Auf der Tafel am Strand mit der Überschrift „How to meet the Dolphins“ ist u.a. zu lesen: „Wenn sie von einem Delphin einen Fisch gebracht bekommen, nehmen sie ihn dankbar entgegen. Geben sie ihn nicht zurück.“ Shirley, die seit sechs Jahren die Tiere beobachtet, erzählt, dass die Delphine häufiger große Fische auf den Strand treiben, sodass die Menschen sie einsammeln und natürlich auch verzehren können. Die von Menschen bevorzugten, fleischigen Fische stehen nicht auf der Speisekarte der Delphine, ihre Leibspeise sind eher platte, grätenreiche Sorten. Zwar erhalten kleine Geschenke die Freundschaft, aber das Füttern ist den Delphinen ganz offensichtlich nicht die Hauptsache bei dieser beiderseitigen Kontaktaufnahme. In der sehr fischreichen Shark Bay haben sie das Betteln im Übrigen auch gar nicht nötig. Sie kommen deshalb nicht nur und nicht immer zur Fütterungszeit am frühen Morgen.

Während wir dort waren, verbrachten sie einmal den ganzen Vormittag mit den Menschen am Strand, kamen aber auch zu anderen Zeiten und zu anderen Stellen in der Bucht zu den Menschen, so wie ich es ja selbst erlebt habe.

Damit sich die Menschen den Delphinen gegenüber möglichst angemessen verhalten, ihnen nicht, wie es schon vorgekommen sein soll, Essensreste ihrer Grillpartys, Hühnerknochen oder Schlimmeres ins freundlich geöffnete Maul schieben, wurden vor einigen Jahren die Wildhüter von der Regierung angestellt, die für das Wohlergehen der Tiere Sorge tragen. Seitdem kurz aufeinanderfolgenden Tod einiger Delphinbabies im Dezember 1989 (Von den letzten zehn, in der Bucht geborenen Delphinbabies, ist nur ein einziges, Holly Fins Enkel, durchgekommen) und dem gleichzeitigen unerklärlichen Verschwinden mehrerer erwachsener Delphine aus der Bucht, wurden die sanitären Einrichtungen des sich rasch vergrößernden Caravan- und Zeltplatzes, dessen Abwässer bis dahin ungeklärt in die Bucht geflossen waren, auf den neuesten Stand gebracht. Bisher gab es keine weiteren mysteriösen Todesfälle mehr.

Shark Bay liegt zwar in subtropischen Breiten, wo es eigentlich warm sein sollte, aber bis auf unseren warmen Ankunftstag, fegte ständig ein eiskalter Wind übers Wasser, wirbelte einem Sand in die Augen und brachte mir zum guten Schluss noch eine dicke Halsentzündung ein. Kein Wunder bei der stundenlangen Stehparty im kalten Wasser.

Auch andere husten und schniefen. Doch wer nimmt nicht einen dicken Hals in Kauf, wenn er dafür einen Rest vom verlorenen Paradies schauen kann? Hauptsache, die Delphine bekommen nichts in den falschen Hals. Sie sind empfänglich für menschliche Krankheiten, erfahren wir, können sich beim Menschen anstecken, zum Beispiel mit Grippe und anderen Erkältungskrankheiten. Gut, dass wir abreisen!
Erich, der nur am Strand und nicht im Wasser stand, ist auch ohne Erkältung „geschafft“. Delphine fotografieren ist eine anstrengende Aufgabe, die ständig konzentrierten Einsatz erfordert. Delphine sind unglaublich schnell, spontan, ihre Bewegungen sind kaum vorhersehbar. Hat man einen gut in der Linse, ist er schon wieder weg, bevor man den Auslöser gedrückt hat. Und stellt man sich ganz auf das Tier ein, kommen die Menschen, die ja möglichst mit auf ’s Bild sollen, zu kurz. Noch dazu hatten wir die letzten beiden Tage trübes, aufgewühltes Wasser, also miserable Bedingungen, um die Tiere zum Fotografieren. Wir sind schließlich keine Delphine, die auch im Trüben „sehen“!