5.500 Meilen auf arktischem Kurs

Rückblick auf die Saison 2021

An unsere Freunde und Mitsegler,

vor einigen Tagen sind wir aus Kärnten zurück gekommen – zwei Wochen Wellness hatte uns Heide nach unserer Rückkehr aus Island verordnet – mit sich als Kurärztin. Hatten wir nötig und ist uns auch gut bekommen. Vormittags wandern in luftiger Höhe, nachmittags relaxen in Thermen und Sprudelwasser und abends gepflegt essen.

(c Saul Santo)
Nach dem Ausbruch: Im Vordergrund die Marina Tazacorte, in der wir 8 Monate gelegen haben. Dort, wo im Hintergrund die glühende Lava ins Meer fließt, wurde die Finca von Rolande und Federico, auf der sie ihr Domizil hatten, begraben.
Vor dem Ausbruch: Da war die Welt noch in Ordnung

Ja, Ihr könnt noch mit uns rechnen, auch wenn es in diesem Jahr ein paar Mal sehr eng wurde. Nicht lange, nachdem wir den Hafen unserer Lieblingswanderinsel La Palma Anfang Juni verlassen hatten, ist auf dem Bergrücken Cumbre Vieja der schlummernde Vulkan erneut ausgebrochen (der letzte Ausbruch liegt genau 50 Jahre zurück). Er wütet derzeit immer noch – und sogar von Tag zu Tag heftiger. Schon die bloße Vorstellung, dass wir bei seinem Ausbruch noch in der Marina von Tazacorte gelegen hätten, ist gruselig: Da verliert man 2011 seine geliebte Yacht in einem Jahrhundert-Tsunami in Japan, baut eine neue Yacht und riskiert diese genau 10 Jahre später bei einem Vulkanausbruch erneut in einer scheinbar bombensicheren Marina.

Andere hatten nicht so viel Glück: Wie es den Yachten in der Marina Tazacorte ergangen ist, haben wir noch nicht in Erfahrung gebracht, aber inzwischen sind schon über zweitausend Anwesen auf La Palma zerstört, für viele der Betroffenen eine persönliche Katastrophe. Auch unser langjähriger Trans-Ocean-Stützpunktleiter auf La Palma, Federico Ulrich und seine Frau Rolande, die nicht weit weg von der Marina wohnen, konnten sich zwar in Sicherheit bringen, aber ihre Finca mit all ihrem Hab und Gut wurde unter der Lava begraben. Sie schrieben uns heute:

Ja wir sind betroffen und haben alles verloren. Die letzten 4 Wochen gleichen einem Horrorfilm. Jetzt verhandeln wir mit Versicherungen und Behörden.
Besitzen noch unseren Geländewagen, ein paar Kleider, unsere 2 Fellnasen (gemeint sind ihre Hunde) und 2.200 m2 Lava von 20m Dicke, in der alles bei 1240 Grad eingeschmolzen ist.

Der Verein Trans-Ocean will ihnen helfen und hat eine Hilfsaktion gestartet. Jeder kann sich daran beteiligen.

Heute ist der 25. Oktober 2021. Unser letzter Eintrag auf unserem Blog stammt vom 3. Mai des Jahres. Das ist lange her. Nicht, dass wir unter Schreibfaulheit litten, aber die Segelsaison 2021 hat uns weit mehr gefordert als erwartet – es lief in diesem Jahr nicht alles nach Plan.

Hätte uns zu Beginn der Saison jemand erklärt, dass wir in diesem Jahr gleich zweimal nach Grönland und zweimal nach Island segeln und dann noch einmal Island rund, dann hätten wir ihn für verrückt erklärt. Aber wie heißt es so schön: “… erstens kommt es anders und zweitens als man denkt!“ Und das alles wegen eines Virus, der die Welt immer noch in Atem hält.

Warum wir in diesem Jahr in 3 Monaten unter oft schwierigsten Bedingungen 5 ½ tausend Meilen gesegelt sind – was gar nicht unsere Absicht war – lest Ihr in diesem Blogbeitrag.

Das Tor zur Welt

Die Kanarischen Inseln sind für uns seit 4 Jahrzehnten das Tor zur Welt: Von hier aus sind wir 1981 Rund Südamerika und das erste Mal in die Antarktis gesegelt. In den Jahren darauf ein paar Mal in die Karibik und ins Nordpolarmeer nach Grönland und Spitzbergen. Auch unsere zwei Weltumsegelungen von 1990 bis 2002 nahmen von hier ihren Ausgang. Darauf folgten von 2004 bis 2018 ausgedehnte Reisen in die Südsee und in den Nordpazifik. Nun, 2020, träumten wir davon, am Ende unseres Seglerlebens noch ein letztes Mal in den Südatlantik zu segeln, Abschied zu nehmen vom Kap Hoorn und unserer Schicksalsinsel Deception am Rande der Antarktischen Halbinsel, die wir dreimal in unserem Leben besucht hatten. In ihrem Kratersee machten wir am 12. Januar 1982 unseren ersten Landfall in der Antarktis, auf ihr überwinterten wir 1992 und überlebten nach einem Schiffbruch zu Beginn des Antarktischen Winters 8 Monate in einer Nothütte. Zu ihr kehrten wir 1998 zurück und vollendeten hier unsere 7-jährige Antarktisumrundung.

Da gibt es auch noch ein paar Glanzlichter auf dem Weg, einsame und unbewohnte Inseln, die wir immer schon, oder wieder, besuchen wollten, wie die zu Norwegen gehörende vergletscherte Vulkaninsel Bouvet auf dem 55. Breitengrad im Südatlantik. Sie gilt laut Wikipedia „…als das am weitesten abgelegene Stück Land überhaupt“ und ist uns schon deswegen einen Besuch wert. Dazu reizt uns ganz besonders ein nochmaliger Besuch Südgeorgiens und der Südlichen Sandwichinseln mit ihren aktiven Vulkanen am Rande der Antarktis. Zwei der 11 vergletscherten Vulkaninseln (Candlemas und Zavodovski) hatten wir 1993 aufgesucht. Nirgends auf der Welt erlebten wir solche Dramatik und ein so unglaublich reiches Tierleben, aber auch nirgends war das Anlanden so schwierig und gefährlich gewesen.
Dort durften wir die Welt noch in ihrer Ursprünglichkeit, ihrer grandiosen Schönheit, erleben. Obwohl das „unbekannte Südland“ schon lange entdeckt war, fühlten wir uns hier oft wie Entdecker.
Als wir im letzten Herbst an die Planung und Ausarbeitung gingen, verschärfte sich die Corona-Situation ab September plötzlich und unerwartet dramatisch. Ihr erinnert Euch: Die dritte Welle war im Anmarsch mit viel tückischeren Virusvarianten aus Brasilien, Südafrika, Indien und anderen Erdteilen – und kein Gegenmittel in Sicht. Was das für uns bedeutete war klar:

Aus der Traum einer Reise zum Südland.

Wir waren sehr enttäuscht, mussten uns damit abfinden, dass wir wahrscheinlich auf Jahre nicht nach Südamerika und Südafrika segeln konnten. Alle Pläne wurden Makulatur. Nun lagen wir in der Marina Tazacorte auf La Palma und fragten uns, wie es weitergehen soll. Wer unsere Leidenschaft für extreme Reviere kennt, den wird es nicht wundern, dass wir ein Revier als Ersatz wählten, das für uns ebenfalls verlockend und unter den gegebenen Umständen erreichbar schien: Grönland und Island.
Noch warteten wir ab. Als sich jedoch bis Weihnachten keine Besserung abzeichnete, disponierten wir um, erstellten einen neuen Törnplan und machten ihn im Kreis unserer Mitsegler publik. Schnell konnten wir aus einer Vielzahl von Interessenten für diese Etappen die Crews zusammenstellen. Es war auch kein Problem, dass die üblichen Crewtreffen in Heidelberg wegen Corona ausfallen mussten, weil die meisten Mitsegler bereits in früheren Jahren mit uns unterwegs gewesen waren.
Zwei Wochen vor Beginn der Reise flogen wir nach La Palma. Nach einem neuen Unterwasseranstrich auf der Werft und den üblichen Einkäufen im Supermarkt waren wir startklar.

Tazacorte: Nachbars Katze sagt „Farewell und Goodbye“

Auf nach Grönland

Gut 2 ½ Wochen haben wir für den ersten Abschnitt von La Palma nach Horta auf der Azoreninsel Fajal veranschlagt. Es wurde ein „Gute-Laune-Törn“. Wir waren zu siebt, verstanden uns gut, es wurde abwechselnd gekocht und – nachdem die Seekrankheit überwunden war – viel gelacht. Der beständige Nordostpassat wehte zwar schräg von vorn, aber so, dass wir gut vorankamen und mehrtägige Stops auf den Azoreninseln Santa Maria und Sao Miguel einlegen konnten – mit Besuch unserer Wiesbadener Freunde Ellen und Volker Christmann auf ihrem schönen Ferien-Domizil. Leihwagen waren dort leicht zu bekommen, da sich die Zahl der Touristen wegen Covid in Grenzen hielt. Lediglich beim Einklarieren auf Santa Maria mussten wir einen Tag in Quarantäne, bis das Ergebnis unseres PCR-Tests festlag: wie erwartet negativ, da wir alle geimpft waren. Der einzige Wermutstropfen des Törns war die schlechte Leistung der deutschen Nationalmannschaft auf der WM, deren Spiele wir uns im berühmten Café Sport in Horta ansahen.

Horta: Künstler am Werk
Das Shrimshow-Museum über dem berühmten Peter Café Sport

In Horta hatten wir wieder ein paar Tage Pause und bereiteten uns auf den nächsten Abschnitt vor, der uns nonstop nach Grönland führen sollte. Über den ganzen Nordwest-Atlantik ging es nun vom 38. bis über den 60. Breitengrad – laut GPS betrug die Luftlinie 1.485 Seemeilen. Einen Zwischenstopp in St. John’s, Neufundland – wie in den Jahren 1986 und 1988 – hatten wir schon bei der Planung verworfen: das Risiko möglicher Komplikationen wegen Corona schien uns zu groß. Außerdem wollten wir die Neufundlandbänke, auf denen man mit pottendichten Nebel rechnen muss und bei Sturm die Hölle los ist, lieber weiträumig umsegeln. Auch um die Südspitze Grönlands, Kap Farvel, wollten wir diesmal wieder einen großen Bogen machen. Dieses Kap, sagen Experten, sei gefährlicher zu umrunden als das berüchtigte Kap Hoorn: zum einen wegen der Stürme, zum anderen wegen des Packeises und der Eisberge, die mit dem Ostgrönlandstrom auch in den Sommermonaten um die Südspitze driften, besonders wenn noch Nebel dazukommt. Schon vielen Schiffen ist Kap Farvel deshalb zum Verhängnis geworden.

Für die Strecke von Horta bis nach Grönland hatten wir drei Wochen eingeplant, gingen aber davon aus, dass wir sie in zwei Wochen schaffen konnten: Ein Irrtum! Wir hatten die Rechnung ohne den Wirt gemacht.
WetterWelt aus Kiel prophezeite nichts Gutes: Zwischen dem 42. und 48. Breitengrad lag ein ausgedehnter Tiefdruckkomplex, ein Randtief nach dem anderen zog von West nach Ost und ein Ende der Stürme war einfach nicht absehbar. Und ein Hurrikan zog gerade an der Ostküste der USA nach Norden. Ob wir da unbeschadet durchkämen, war mehr als ungewiss. Rat von WetterWelt: Wir sollten das Auslaufen um einen Tag vorziehen – das würde unsere Aussichten erhöhen, vielleicht durch eine kurzzeitig sich bildende Lücke an den Tiefs vorbeizukommen.

Unsere Crew war zum Glück bereits vollzählig an Bord. Der Frischproviant war eingekauft, die Crew eingewiesen: das Sturmgroßsegel (Trysegel) auf der zweiten Mastschiene untergeschlagen, die Hahnepot für den Sturmtreibanker am Heck befestigt, und der 150 Meter lange Jordan Drogue (Serien-Treibanker) lag griffbereit achtern in der Backskiste. Mit zwei Reffs im Groß und gereffter Fock liefen wir am 30. Juni, einen Tag eher als geplant, aus dem Hafen von Horta.

(5 Fotos von Gundolf Oertwig)
3 Wochen Starkwind und Sturm von Horta nach Grönland
Marcus und Renate in der Kombüse
Land voraus: Kap Farvel, die Südspitze Grönlands

Die Segelbedingungen waren rau, ständig Starkwind schräg von vorne. Aber der Crew wuchsen schnell Seebeine, nach zwei Tagen war die Seekrankheit bei den dreien, die es erwischt hatte, überwunden. Wir hielten uns ans Dreiwachen-System der Berufsschifffahrt: 4 Stunden Wache, 8 Stunden Freiwache. Mahlzeiten wurden wachen-weise zubereitet, wobei Renate und Marcus die Hauptköche waren. Wenn es allzu ruppig wurde, drehten wir zu den Mahlzeiten bei.

Fünf Tage kamen wir gut voran. Hoch am Wind war bereits gut ein Drittel der Gesamtstrecke zurückgelegt, als unsere Glückssträhne abrupt endete: „…Die Tiefdruckaktivität von Neufundland her reißt in den kommenden Tagen nicht ab, die Entwicklungen bergen größere Unsicherheiten, was die Routenfindung nicht gerade leicht macht. Wir müssen weiterhin im engmaschigen Austausch bleiben, um schnell auf die aktuellen Änderungen reagieren zu können…“, hieß es am 5. Juli im Routingupdate von WetterWelt.
Und wenig später: „Dann aber zieht ein ausgedehntes Sturmtief über die Labradorsee nach NE und sorgt für einen breiten Bereich mit Sturm. Entgegen der Vorhersage vor zwei Tagen zieht das Tief nun deutlich weiter im Norden durch. Somit müssen wir die Strategie ändern und nun weiter im Süden bleiben.

Mit unserem Iridium-Satellitentelephon luden wir täglich die GRIB-Daten von WetterWelt herunter, sodass wir auch ohne das Routing gut im Bilde waren. Aber bei der manchmal schwierigen Interpretation der Daten sind die Wetterprofis im Vorteil. Verzichten wollten wir auf ihren Rat nicht mehr. Die Zeiten sind vorbei, in denen wir ohne jegliche Information über die Weltmeere segelten und das Wetter so nehmen mussten, wie es kam. Das Abwettern von Stürmen war deshalb in Seegebieten, wie wir sie gerade befuhren, an der Tagesordnung.

Der Hurrikan ELSA, mit dessen Ausläufern wir es zu tun bekamen, stellte laut Wikipedia „…einen neuen Rekord für den sich am schnellsten bewegenden Hurrikan auf“ und er richtete auf seinem Weg nach Norden schwere Schäden an der Ostküste der USA und Kanadas an. Erst am 9. Juli schwächte er sich etwas ab, degenerierte zum posttropischen Sturm, querte die Labradorsee und zog weiter die ostgrönländische Küste hoch.

Das sich rasant nähernde Orkantief hätten wir noch vor wenigen Jahrzehnten voll abbekommen. Nun aber gab uns WetterWelt in den folgenden Tagen Koordinaten von Wegepunkten, die uns außerhalb der Reichweite des Orkantiefs hielten. Der Jordan Drogue lag griffbereit im Cockpit, aber wir waren froh, dass wir das gute Stück, vor allem aber uns selbst und unser Schiff schonen konnten.
Zwar war es ärgerlich, dass wir mit drei Reffs im Groß und Sturmfock zunächst wieder nach Süden ausweichen und dann tagelang beidrehen mussten, denn dadurch haben wir kostbare Meilen verschenkt, aber immer noch besser, als einer enormen See und den Brechern eines ausgewachsenen Orkans ausgeliefert zu sein.
Vier Tage ging das so, dann endlich schwächte sich das Tief ab und wir konnten wieder auf Nordkurs gehen, allerdings unter beträchtlicher Bolzerei, unter der vor allem der Skipper in seiner Vorschiffskoje zu leiden hatte.

Dank WetterWelt vermieden wir die Begegnung mit Hurrikan ELSA, allerdings hatte uns der Vollkreis am 50. Breitengrad ziemlich genau eine Woche gekostet.


Ziemlich genau eine Woche hatte uns der Vollkreis gekostet. Der guten Stimmung an Bord tat das erstaunlicherweise nicht den geringsten Abbruch. Alle waren sich bewusst gewesen, dass der Törn hart werden kann und nahmen die Unbequemlichkeiten und die vielen Manöver mit großer Selbstverständlichkeit hin. Und unsere Köche gaben ihr Bestes.

14. Juli auf 54°15’N und 41°W: Als Marcus seine Wache antritt, empfängt ihn ein siebenstimmiger Chor mit einem Geburtstagsständchen. Chorleiter Heiko hatte ohne sein Wissen einen Canon mit uns eingeübt. Anschließend gab es ein opulentes Champagnerfrühstück und eine Torte mit Kerzen und der Aufschrift „FREYDIS“.

Der Wettergott gab keine Ruhe – wir hatten ein schlechtes Jahr erwischt: Eigentlich wollten wir im großen Bogen westlich am Kap Farvel vorbei, konnten aber hoch am Wind den erforderlichen Kurs nicht halten, sondern wurden immer weiter nach Osten versetzt. WetterWelt kündigt uns einen weiteren schweren Sturm an, der uns am 18. Juli erreichen würde. Wir sollen alles dransetzen, vorher im Osten von Kap Farvel unter Landschutz zu kommen. Wir erinnern uns an die PAGAN (ein Stagsegelschoner aus Stahl) unseres Segelkameraden Reinhard Schmitz, die am Kap Farvel am 8. September 2001 im Sturm durchgekentert ist, ebenso wie vor ihm die SOLVEIGH IV (eine HR 42) mit Rollo und Angelika Gebhard. Und wir erinnern uns daran, wie 1987, ein Jahr nachdem wir im großen Bogen ums Kap nach Grönland gesegelt waren, die deutsche Yacht SEUFEL VI (eine Maramu von Amel) mit Skipper Günter Gassner nach Grönland segelte, zu dicht ans Kap kam und dort vom Packeis eingeschlossen und zerquetscht wurde. Die beiden Segler hatten sich aufs Eis gerettet und konnten in buchstäblich letzter Minute vom Rettungshubschrauber abgeborgen werden. Dass es auch für viel größere Schiffe gefährlich werden kann, belegen die Katastrophen der TITANIC und der HANS HEDTHOFF. Hier war 1959 die speziell für arktische Bedingungen gebaute und als unsinkbar geltende HANS HEDTHOFF nach der Kollision mit einem Eisberg im Orkan untergegangen, keiner überlebte. Es war damals nach der TITANIC die zweitgrößte Katastrophe der zivilen Seefahrt.

Wir waren schon über ein Dutzend Mal um Kap Hoorn gesegelt, hatten aber Kap Farvel auf früheren Reisen stets gemieden, mit einer Ausnahme: 2018, in einer kurzen Pause zwischen zwei Stürmen, wagten wir uns aus der Deckung und umrundeten am 13. August das Kap von West nach Ost.

Eile war geboten, die Maschine lief mit, wir wollten nicht in der Nähe des Kaps vom Sturm überrascht werden. Am 17. Juli nimmt der Wind vorübergehend ab. Wir reffen aus, das erste Mal seit Horta. Um 6:00 morgens haben wir eine hervorragende Sicht auf das Küstengebirge Grönlands, das noch ca. 60 Meilen entfernt war. Riesige Eisberge kamen in Sicht. Wir testen unser Radar: Nicht alle Eisberge waren auf dem Radarschirm sichtbar. Am späten Abend kam Nebel auf und der Wind legt wieder zu, nun auf 30 kn aus Nordost. Also erneut zwei Reffs ins Groß und Fock verkleinern. Verdammt! Kurz vorm Ziel noch einmal Stress. Nach Mitternacht drehen wir 8 Seemeilen vor dem Kap bei. Die Gefahr ist zu groß, dass wir mit einem Eisberg oder einem der zahlreichen Growler kollidieren.

Am nächsten Morgen bessert sich die Sicht. Ein unglaubliches Ambiente umgibt uns: Hohe, schroffe Berge, Eisbergungetüme und große Packeisschollen. Wir nehmen Kurs auf das Kap Farvel und entscheiden uns für den Sund, der westlich von Kap Farvel ins Gebirge führt. Diesen Sund haben wir vor drei Jahren in umgekehrter Richtung befahren. Als wir am frühen Morgen in ihn einbiegen, wissen wir, dass wir nun keinen Sturm mehr fürchten müssen – wir haben es geschafft!

Zwei Tage später, am 20. Tag der Reise, erreichen wir nach einer Fahrt durch die spektakulären Fjorde und Sunde SW-Grönlands unseren Zielhafen Qaqortoq (Julianehåb). Seit La Palma haben wir 3.007 Meilen zurückgelegt, seit Horta laut Sumlog 2.153 Meilen – fast 700 Meilen mehr als der direkte Weg, den das GPS anzeigte. Klar, wir hatten viel gekreuzt und einen großen Kreis gefahren, um einem Ex-Hurrikan auszuweichen. Die sturmbedingten Umwege hatten uns gefordert, aber die Crew war auch nach dreiwöchigem Nonstop noch in bester Verfassung.

(c Siegfried Lettmann) Route Horta – Qaqortoq

Längst hatten wir uns über Funk und Satellitentelefon bei der grönländischen Behörde angekündigt. Im Hafen sind wir die einzige Yacht. Wir hatten Einschränkungen wegen der strengen Maßnahmen der grönländischen Regierung gegen die Ausbreitung des Virus befürchtet. Doch weil wir nicht nur alle geimpft, sondern vor unserer Ankunft drei Wochen auf dem Meer unterwegs waren, entfielen Quarantäne und PCR-Tests. Es gab keinerlei Einschränkungen, wir konnten uns frei bewegen, durften mit der Freydis sogar die sensiblen Ortschaften an der Ostküste anlaufen. Unser Seglerglück schien perfekt.

In Qaqortoq war eine einwöchige Pause geplant und Crewwechsel vorgesehen. Die Flüge unserer Mitsegler (bis auf Gundolf, der auch auf dem nächsten Törn angeheuert hatte) gingen von hier aus zurück nach Deutschland, und die nächste Crew sollte in den nächsten Tagen via Island anrücken.

Dann der Paukenschlag: Als wir zu mitternächtlicher Stunde das erste Mal seit Horta wieder Internetverbindung haben, erfuhren wir, dass die Crew, deren Ankunft wir erwarteten, in Island festsaß. ICELANDAIR hatte sämtliche Flüge unserer Mitsegler von und nach Grönland – immerhin ging es dabei um zwei Törns! – gecancelt. Entsprechend waren die Rückflüge unserer derzeitigen Crew ebenfalls storniert.

Jetzt war guter Rat teuer!

Wie es weiter geht, könnt Ihr nächste Woche im zweiten Teil lesen.

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6 Antworten zu 5.500 Meilen auf arktischem Kurs

  1. Jürgen Keßler sagt:

    Gut geschriebener Törnbericht in einer bildhaften Sprache, die die Gegebenheiten, negativ wie positiv, auf See schildert. Ganz so spektakulär war der oben angekündigte Nachfolgetörn rund um Island natürlich nicht, aber dennoch für mich eindrucksvoll. Bin gespannt, wie Deine Sicht ausfallen wird. Herzliche Grüße nach Heidelberg und bleibt gesund. Jürgen

  2. Holger Wanders sagt:

    Liebe Freydis-Crew,
    wir freuen uns das wir heute auf diesem Wege von euch hören und lesen können, sonst
    haben wir uns immer über die Yacht-Beiträge informiert. Nachdem wir uns persönlich
    auf Island in Höfn kennengelernt haben sind wir noch mehr an euren Erlebnissen
    interessiert und hoffen, dass ihr die nächsten Ziele gesund und munter erreicht. Wir
    wünschen euch alles Gute und würden uns sehr freuen wenn wir uns mal wieder
    irgendwo auf dieser schönen Erde wiedersehen, denn wir sind auch so lange es geht
    unterwegs um viel zu sehen und zu erleben. Liebe Grüße Gisela & Holger Wanders

  3. Dierk Friedrich Homborg sagt:

    Wenn ich an euer Alter denke – ich bin gleichalt und denke an meine „Stürmchen“- da steigt meine Bewunderung um das Doppelte. Kein Wunder ,dass euch ein Kururlaub anschließend so gut bekommen ist. Manchmal frage ich mich ,ob es sowas wie „Sehnsucht“ nach Sturm und gibt. M.E. seid ihr
    „Freeclimber“ der Meere-Das Leben hängt über dem Abgrund an einem Schäkel.
    Schön dass ihr wieder zurück seid. Da hat man Angst ,dass es eines Tages heißt FREDIS „Lost on sea“ . Liebe Grüße

  4. Ann&Michael Heinemann sagt:

    Sehr, sehr spannend. Welch wichtige Rolle „wetterwelt“ spielt, in Zeiten, da auch der arktische jetstream angefangen hat zu meandern und die Lage der Tiefs entsprechend zu beeinflussen. Ein aktuelles Lehrstück über Segeln im Nordatlantik. Danke.

  5. Günter Wörne sagt:

    Lieber Erich mit Crew,
    mit großer Interesse habe ich diesen extrem spannenden Bericht über Eure Reise nach Grönland gelesen. Dir und der Crew meine Hochachtung und Respekt für diese Leistung und seglerischen Kraftakt. Kommt einfach gut weiter, bleibt gesund und kommt wieder gut Heim. Herzliche Grüße aus Stuttgart Günter Wörne

  6. Walter Seigfried sagt:

    Schön von euch Neues zu hören und dass ihr euch gut erholt habt. Ich wollte ja ursprünglich teilnehmen, letztlich hat es dann aber nicht geklappt bei euch an Bord zu kommen. Soweit es das Programm zugelassen hat, habe ich eure Positionen über Marine Traffic immer mal wieder verfolgen können, bin gespannt wenn ihr eure Routen und Erlebnisse im Blog weiter erläutert.

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