Crewtreffen am 12./13. März in Heidelberg

Freitag, 08.01.2016, Heidelberg

Hallo Freunde,

mit den Mitseglern auf den diesjährigen Törns im Golf von Alaska treffen wir uns am Samstag/Sonntag, 12./13. März in unserem Haus in Heidelberg.

Einzelheiten, wie Ablauf, Themen und Tagesordnung besprechen wir mit den Teilnehmern direkt.

Herzliche Grüsse
Heide + Erich

Veröffentlicht unter 2016, Törns | Kommentare deaktiviert für Crewtreffen am 12./13. März in Heidelberg

Episode 10: 1990 – Segeln zwischen Alptraum und Traum

Mittwoch, 23.12.2015, La Palma

Brand in Mar del Plata, Tierparadies Valdes

Es ist Nachmittag und sommerlich warm im argentinischen Mar del Plata. Der Generator läuft, um die frisch gefüllte Kühltruhe zu versorgen. An Bord ist alles gewissenhaft verstaut, die Ausrüstung für ein ganzes Jahr untergebracht. Wir haben gerade ausklariert und wollen bald auslaufen. Zum Abschied sitzen wir noch ein Weilchen im Cockpit, trinken Tee und schauen über den friedlichen Yachthafen.

Plötzlich dringen Rauchschwaden aus der Achterluke und dem Niedergang. Geistesgegenwärtig greift sich Erich sofort den nächsten Feuerlöscher, reißt den Motorraum auf und versucht zu löschen. Was er schafft, erweist sich aber im wahrsten Sinne des Wortes als Tropfen auf dem heißen Stein. Flammen hüllen ihn ein, seine Haare sind nur noch versengte Stummel und Fransen. Kameramann Arno rennt nach der Feuerwehr und ich haste nach anderen greifbaren Feuerlöschern. Alle Segler und die Angestellten des Club Nautico Argentino, wo wir zum Glück an der Pier liegen und nicht vor Anker, sind sofort hilfsbereit zur Stelle, und das bestimmt nicht nur darum, weil das Feuer leicht auf die benachbarten Kunststoffschiffe übergreifen könnte.

Aber selbst sechsundzwanzig Feuerlöscher bringen keinen Erfolg. Ungerührt von all dem weißen Kunstschaum, schlagen die Flammen weiter aus dem Motorraum, werden gespeist vom 60-Liter-Dieseltagestank und fressen sich bis in die Achterkammer und die Messe durch. Unglücklicherweise sind in den Backskisten über dem Motorraum unsere großen Gasflaschen für den Herd gestaut und die Kisten mit Notraketen. Hoffentlich geht nicht alles in die Luft!

„Heide, es ist aus, die Reise ist zu Ende! – Unser schönes Schiff…“ ruft mir Erich zu. Sein Ton, so voller Schmerz, trifft mich mehr als alles andere.

Die Flammen im Maschinenraum schlugen in Achterkammer und Messe – alles ist verkohlt

Ich bin kurz vor einer Rauchvergiftung, weil unter anderem unsere PVC-Decke und die Kabel abbrennen – ein scheußlicher Geruch, den ich noch lange in der Nase habe. Erich und unser Mitsegler Erhard, die Kameraleute Arno und Klaus stehen in beißendem Qualm und bekämpfen die Flammen, verteidigen die Freydis mit dem Mut der Verzweiflung. Aber trotz aller Anstrengung scheint es aussichtslos, unser Schiff zu retten. Immer wieder findet das Feuer in Diesellachen, Seekarten, Plastikteilen und ähnlichem neue Nahrung, droht zu vernichten, was für Jahre unser Heim, unsere Zuflucht werden sollte.

Eine Menschenmenge ist zusammengelaufen, das brennende Schiff wird die große Attraktion. Hobbyfilmer und -fotografen sind dabei. Am liebsten würde ich sie wegscheuchen. Ich will nicht, daß das Unglück bestaunt und festgehalten wird. Ich kann nicht fassen, daß es trotz allen Einsatzes seinen fatalen Lauf nimmt. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis die gefräßigen Flammen auch Ventile und Dichtungen erreicht haben, bis unsere hochgesteckten Ziele in Feuer und Rauch aufgehen und die Freydis sinkt.

Aber Neptun und alle Meeresgöttinnen, die ich in meiner Not anrufe, halten sie über Wasser. Nicht nur sämtliche Elektrogeräte, die gesamte Bordelektrik, die Achterkammer, der Gang und die Messe sind ausgebrannt – auch die teure Kamera- und Tonausrüstung der ZDF-Leute ist hin. Kameramann Arno und Assistent Klaus waren zwei Tage zuvor angereist, um unsere nächste Etappe mitzusegeln und zu filmen. Erst am Vortag hatten sie ihr Arbeitsgerät installiert. Nun ist allein schon dem ZDF ein Schaden von zweihundertfünfzigtausend Mark entstanden, wie sich später herausstellt. Fast das gesamte Filmmaterial ist verbrannt oder von der Feuerwehr, die uns letztlich rettet, unter Wasser gesetzt. Sie pumpt Tonnen von Wasser durch die Luken in den heißen Rumpf, bis die Flammen keinen Mucks mehr machen, bis nur noch schwarze Rauchschwaden als Zeichen der Verwüstung die Luft verpesten und in den strahlend blauen Himmel steigen. Erhard wagt sich als erster in den qualmenden Maschinenraum, ein nasses Handtuch um den Kopf gewickelt. Er entfernt die dicken funkensprühenden Batteriekabel von den Polen, denn die Kabel liegen blank – ihre Ummantelung ist geschmolzen und verbrannt.

Das Drama ist zu Ende, aber wir haben noch immer nicht begriffen, wie und warum es dazu kommen konnte. Wie betäubt schauen wir uns im Schiffsinneren um. Dort sieht es schlimm aus: schwarze, stinkende Brandhöhlen, die vor ein paar Stunden noch Messe, Achterkammer und Maschinenraum waren.

In der Navigation sind alle elektronischen Geräte geschmolzen

Es dauert lange, bis wir einen klaren Gedanken fassen können: weitermachen, so rasch wie möglich reparieren, damit wir die Reise vielleicht doch noch fortsetzen können. Noch am späten Abend beginnen wir mit den Aufräumungsarbeiten, das Zerstörungswerk des Brandes, der wahrscheinlich durch einen Kurzschluss im Kabelbaum ausgelöst worden ist, bietet einen deprimierenden Anblick.

Blick in den Maschinenraum

Was nun? Ist das nun das Ende eines Seglertraums?

Drei Tage schuften wir fast rund um die Uhr: Wir kratzen, reißen, waschen, schrubben, spachteln, sortieren und schaffen die vielen verkohlten Teile hinaus. Dann erst geht’s ans Reparieren. „Trabajan como locos” (sie arbeiten wie die Irren), wundern sich unsere argentinischen Freunde und Helfer. Besonders gefordert sind die Elektriker, sie entpuppen sich als wahre Künstler der Improvisation. Uns kommen fast die Tränen, als das angeschmorte Radio plötzlich wieder Töne von sich gibt und der große Placido Domingo seine Arie auf der Kassette zu Ende schmettert, die er drei Tage zuvor begonnen hat. Dann gehen die Lichter wieder an, Wasser fließt wieder aus dem Hahn. Leitung für Leitung wird neu verlegt, bis alle neuinstallierten oder von den Flammen verschonten Verbraucher angeschlossen sind.

Alle fassen mit an, auch die beiden Kameraleute vom ZDF

Mitsegler der nächsten Etappe, zwei Fluglotsen aus Düsseldorf, bringen uns als Handgepäck und in ihren Seesäcken neue elektronische Geräte mit. Wir haben sie noch am Tag des Brandes in Deutschland bestellt.

Dank des schnellen Einsatzes des Lieferanten und unseres Freundes Thilo in Ostfriesland klappt alles wie am Schnürchen. Apropos Schnürchen: Auch die Schoten sind angekohlt und müssen ersetzt werden. Sogar die Polster werden frisch überzogen. Was nach der Säuberung noch schwarz bleibt, überpinseln wir einfach mit weißer Farbe. Achterkammer und Messe werden behelfsmäßig renoviert. Die Argentinier aus dem Klub, die uns immer wieder besuchen, um den Stand der Dinge zu begutachten, sind vom Fortschritt der Arbeiten fasziniert. Unsere beiden Fluglotsen bauen die Navigationselektronik fachmännisch ein. Langsam funktioniert alles für das Segeln Notwendige an Bord.

Während dieser ganzen Zeit harter Arbeit fällt kein böses Wort. Alle Mitsegler, Stegnachbarn und angeheuerte Spezialisten arbeiten toll und haben sogar Spaß dabei (ein wenig Galgenhumor ist es natürlich auch, wenigstens bei uns). Jeden Abend vertilgen wir alle zusammen riesige argentinische Steaks, die uns bei Kräften und Laune halten. Nachts jedoch können Erich und ich kaum schlafen, denn der Schock, die Verantwortung für die Reise, für unsere Mitsegler und uns selbst, wirken sich aus. Wir richten einander auf, machen uns Mut, trösten uns damit, daß niemand verletzt wurde, daß noch nicht alles verloren ist. Es wird vor allem davon abhängen, daß wir beide nicht aufgeben.

Und das Unmögliche wird wahr: Bereits nach nur fünf Tagen prüfen drei argentinische Inspektoren, zuständig für Maschine und Elektrik, für Elektronik und für Schiffssicherheit, die Freydis gründlich vor dem Auslaufen und befinden sie für voll hochseetüchtig.

Weil nur ich Spanisch spreche, bin ich ständig am Übersetzen und kann schließlich vor Erschöpfung gar nicht mehr reden, weder in Spanisch noch in Deutsch. Außerdem werde ich vom argentinischen Fernsehen vor unserem angekohlten Schiffchen interviewt. In Mar del Plata bin ich bekannt wie ein bunter Hund, mitleidende Geschäftsleute geben mir sogar Prozente beim Einkaufen!

Wir können in See stechen!

Das ZDF-Projekt ist fürs erste gestorben. Die Kameraleute Arno und Klaus reisen ab, ohne eine einzige Meile auf der Freydis gesegelt zu sein. Zeitlich noch immer im Plan, laufen wir aus, Richtung Halbinsel Valdes in Patagonien. Außer uns sind noch vier Mitsegler an Bord: Erhard, der schon die vorige Etappe von Rio de Janeiro nach Mar del Plata mitgesegelt ist und uns nach dem Brand die ganze Zeit zur Seite stand; Karl, der die Freydis schon lange kennt, unter anderem von einer Tour nach Spitzbergen; und dann sind da noch die beiden Jochens, die Fluglotsen, die bereits an kleineren Touren auf der Freydis teilnahmen.

Die ersten vierundzwanzig Stunden haben wir freundliches Wetter, Sonnenschein, Sternenhimmel, günstigen Wind und gute Bordstimmung. Die Freydis segelt wieder, das ist das Schönste. Ich kann’s kaum fassen, wenn ich daran denke, daß wir vor einer Woche noch vor den qualmenden Trümmern unserer Träume standen. Wir sind glücklich, Erich und ich, genießen die einsame Nachtwache stumm und dankbar. Albatrosse und Sturmvögel, die Bewohner südlicher Meere, umkreisen unser Schiff und das Kreuz des Südens weist uns den Weg. Der Bilderbuchtag endet damit, daß die Sonne als blutroter Ball ins silbrig glänzende Meer taucht, ein geheimnisvolles Schauspiel, das nie alltäglich wird. Zumal jetzt nicht, da wir laut GPS gerade den vierzigsten Breitengrad überschreiten. Darauf stoßen wir an. Ich wünsche mir, daß uns die Brüllenden Vierziger noch ein Weilchen gnädig sind, uns eine Schonfrist gönnen, bis wir alles wieder fest im Griff und auch sonst ein wenig Kraft getankt haben. Unter Deck riecht es immer noch nach kaltem Rauch und verbranntem Kunststoff, aber unser Leben hat sich fast wieder normalisiert. Die Sonne ist heiß, die Luft kalt, die Wassertemperatur beträgt dreizehn Grad Celsius. Die Tage werden immer kürzer. In der Nacht frischt der Wind stark auf und dreht, bis er fast von vorn kommt. Rasch baut sich eine hohe See auf, schwarze Gewitterwolken rollen über uns hinweg. Mit dreifach gerefftem Groß und Sturmfock hackt das Schiff auf sein Ziel zu. Mehrmals steigen Brecher aufs Deck, versuchen die beim Brand gesprungene Scheibe im Cockpit einzudrücken. Durch die Luken, die sich durch die Hitze verzogen haben und undicht geworden sind, dringt Wasser ein. Erichs passender Kommentar: „Scheibenkleister!“

Am nächsten Tag wieder Sonne, blauer Himmel, der Wind bläst weiter mit sieben bis acht Beaufort.
was kann man auch anderes erwarten in den brüllenden Vierzigern? Nicht von ungefähr erhielten diese Breitengrade ihren ausdrucksvollen Namen von den Matrosen auf den alten Rahseglern, für die das schöne Passatsegeln spätestens hier in diesem rauen Westwindgürtel endete. Zum Glück flaut der Wind in der Nacht ab, als wir auf die Küste zuhalten. Bei Starkwind würde sich auf den flachen Sänden eine so gefährliche Brandung aufbauen, daß wir unser Ziel, die Caleta Valdes, vergessen könnten. So aber finden wir auf Anhieb die Einfahrt, die sich laut Seehandbuch mal nach Norden, mal nach Süden verlagern soll, ähnlich einer Wanderdüne. Bis zum Morgen ankern wir davor. Um sechs Uhr früh und bei Stillwasser (zu Springzeiten sollen hier bis zu zehn Knoten Strom stehen) tasten wir uns durch die schmale Einfahrt, bei einer Wassertiefe von nur 1,3 bis 3 Metern.

Ausgerechnet jetzt können wir die Winschkurbel nicht finden, um unseren Kiel hochzukurbeln. Seit dem Brand ist vieles noch nicht wieder an seinem alten Platz. Ab und zu schleifen wir deshalb über den sandigen Grund, schaffen es aber trotzdem, in die dreißig Seemeilen lange, schmale Caleta einzudringen, die aussieht wie ein blind endendes Flußbett. Dort empfängt uns ein überwältigendes Tierparadies, das uns für alles Erlittene entschädigt.

In der Caleta Valdes, einem Tierparadies: Der Aufenthalt ist Balsam für unsere verbrannte Seele

Die Caleta ist der „Kindergarten“ der Elefantenrobben. Erst wenn die Robbenkinder größer und stärker geworden sind, trauen sie sich hinaus ins feindliche Leben. Noch aber droht ihnen draußen der Tod, vor der Küste patrouillieren ihre Erzfeinde, ganze Schulen von Mörderwalen. Immer wieder sehen wir ihre charakteristischen hohen schwarzen Rückenflossen wie Messer durchs Wasser schneiden. Selbst am Uferstreifen sind die jungen Robben nicht sicher. Wenn die Mörderwale großen Hunger haben, hechten sie mit einem Brecher sogar bis auf den Strand, schnappen sich dort eines der Robbenbabies und schnellen samt fetter Beute mit der nächsten Welle wieder in tiefes Wasser zurück. Diese schier unglaubliche, sensationelle Jagdtechnik dieser intelligentesten aller Wale haben Walbeobachter hier um Valdes mehrmals mit Bildern und Berichten belegt. In der Caleta dagegen sind die kleinen, oft gerade erst Mutter-entwöhnten Elefantenrobben sicher. Hier machen sie allenfalls die Bekanntschaft mit ein paar freundlichen Magellanpinguinen, die sich im niedrigen Dornengebüsch oberhalb der Uferböschung Bruthöhlen gebaut haben und sich nun überwiegend ihren Eiern widmen, oder mit ein paar scheuen Guanakos (einer Lamaart), die hin und wieder am Ufer entlang promenieren.

Hier liege ich also mit ”meinen” süßen Elefantenrobben-Kindern Wange an Wange am Strand.

Sie lassen sich streicheln, kommen neugierig angerobbt, um mich ganz aus der Nähe zu begucken. Eines von ihnen tätschelt mich sogar mit seinen langen schwarzen Brustflossen, hält mich wahrscheinlich für eine Kameradin. Das ist erfreulich, lustig, unkompliziert. Die Tiere machen sich keine Sorgen um den nächsten Tag, sie sind einfach da und leben. Hoffentlich noch lange…

Hoffentlich geht es ihnen nicht so wie den Robben und Kormoranen an der Westküste Südamerikas, die in den letzten Jahren zu Zigtausenden an Hunger starben, weil die immer effizienter arbeitende Fischerei ihnen keine Nahrung mehr übrig ließ. Und was für traurige Bilder auch in Mar del Plata, wo ganze Seelöwenkolonien um und im völlig verschmutzten, diesel-verpesteten Fischereihafen leben müssen. Viele haben Augenleiden, Hautkrankheiten und verdreckte Wunden. Zu unserem Entsetzen sahen wir auch mehrere Tiere mit tief ins Fleisch einschneidenden Drahtschlingen um den Hals. Rachsüchtige Fischer, denen sie dann und wann die Netze beschädigen, um etwas vom Fang abzubekommen, hatten sie ihnen umgelegt, während sie arglos schliefen. Wie wohltuend und herzerfrischend dagegen dieses Tieridyll in der Caleta!

Der Aufenthalt in Valdes ist Balsam für meine „verbrannte“ Seele. Ich kann wieder gut schlafen, obwohl mir der Brand-Schock von Mar del Plata eigentlich erst hier richtig bewußt wird. Ich fühle mich versöhnt, geborgen, eins mit der Natur, die es gut meint mit mir. Auch Erich genießt diese Zeit, ist tagsüber ständig mit der Kamera unterwegs, um die pelzigen „Strandschönheiten“ in den verschiedenen Posen zu fotografieren.

Aber selbst in diesem Paradies bleiben uns Arbeiten am Schiff nicht erspart, als Erstes müssen die Luken mit Sikaflex abgedichtet, die Bilgen gelenzt werden und die Freydis braucht einen neuen Unterwasseranstrich.

Es wird noch Monate dauern, bis wir die restlichen Schäden nach und nach behoben haben. Als sich nach zwei Tagen zu unserer großen Erleichterung auch die Winschkurbel in den Tiefen des Navigations-Schapps wiederfindet, ist die Erholungszeit an diesem schönen Ort schon wieder zu Ende und wir laufen weiter nach Puerto Pyramides im Golfo Nuevo, ebenfalls an der Halbinsel Valdes. In diesem Meeresbusen verbringen Südliche Glattwale die Hälfte des Jahres, dort paaren sie sich und ziehen ihre Jungen auf.

Die Bucht, in der wir ankern wollen, ist tatsächlich eine Art Wal-Entbindungsstation: überall Walkühe mit Kälbern. Langsam schwimmen sie an uns vorbei, während wir mit Maschine im Leerlauf abwarten.

Zutiefst beeindruckend ist es, diese größten Tiere, die jemals auf unserem Planeten gelebt haben, ganz aus der Nähe zu beobachten: Super-Walmütter, die bis zu 18 Meter lang und 54 Tonnen schwer werden, mit ihren Säuglingen auf ”Tuchfühlung“ mit der Freydis, ein wahrhaft elementares Erlebnis! Wenn sie ihre vier bis fünf Meter hohen, V-förmigen Fontänen blasen, zischt es, als ließe eine Lokomotive ihren Dampf ab. Manchmal fällt dabei ein wahrer „Sprühregen“ auf uns herab, Kondensationströpfchen, die entstehen, wenn ihr warmer Atem mit der kühleren Luft in Kontakt kommt. Und was für ein faszinierendes, atemberaubendes Spektakel, wenn die „Kleinen“ (sie sind bei der Geburt schon fünf bis sechs Meter lang), hoch aus dem Wasser springen, mit der Mutter spielen und sich an sie schmiegen.

Die Wale zeigen uns gegenüber ein freundliches Verhalten, trotzdem klopft mein Herz bis zum Hals; ein kleiner Schlag mit der Fluke, und wir könnten unsere Weiterreise wahrscheinlich wieder mal vergessen. Ich kann mich jedenfalls noch gut an den Wal erinnern, der vor ein paar Jahren bei den Färöern eine zeitlang direkt unter der Freydis lag. Als er abtauchte, rumpste es nur ein bißchen, aber anschließend war unsere automatische Windsteuerung defekt. Und erst kürzlich erzählte uns ein südafrikanischer Segler, wie ein Wal sich den Buckel an seinem Boot gescheuert und dabei die gesamte Ruderanlage demoliert hatte. Als eisernes Gebot beim Beobachten der Wale gilt hier: niemals mit dem Schiff zwischen Walkuh und Kalb geraten, mit dem freundlichen Verhalten könnte es dann nämlich schnell vorbei sein. Und ich weiß nicht wie, trotz aller Vorsicht sind wir plötzlich doch zwischen Walmutter und Kind. Ich halte den Atem an – aber nichts passiert, die Walkuh bleibt ruhig, schwimmt um den Bug herum und nimmt ihren Ausreißer wieder an ihre Seite. Die Tiere bewegen sich dicht an der Oberfläche und so bekommen wir auch ihre weißlichen Schwielen am Kopf zu sehen, die charakteristisch für Glattwale sind. Sie bestehen aus groben Hautverdickungen, auf denen Seepocken, Walläuse und ein paar Haare wachsen und sind von unterschiedlicher Größe, Form und Zahl bei den einzelnen Tieren. Deshalb werden sie von den Walbeobachtern auch als „Erkennungsmarken“ zur individuellen Identifikation benutzt. Denn seit 1970 ist man dabei, diese Walart um die Halbinsel Valdes herum gründlich zu untersuchen. Das wird auch Zeit, da für den gesamten südlichen Ozean der Bestand auf nur noch 3000 Tiere geschätzt wird!

Was sind das für wunderbare Tage im Märchenland der freundlichen Riesen! Im nächsten halben Jahr, wenn uns draußen auf See die Roaring Forties, Furious Fifties und Screaming Sixties die Zähne zeigen, werden wir uns zurücksehnen nach Valdes, uns wünschen wieder mal eine Woche hier verbringen und entspannen zu dürfen, da bin ich ganz sicher!

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Episode 6: Atoll DAS ROCAS

Dienstag, 22.12.2015, La Palma

Kurz vor Sonnenuntergang verabschieden wir uns von der brasilianischen Insel Fernando de Noronha und laufen mit frischem achterlichen Wind aus der malerischen Bucht St. Antonio, unserem geruhsamen Liegeplatz der vergangenen 14 Tage. Aber nun lockt uns ein neues Ziel. Achtzig Seemeilen westlich liegt das Atoll Das Rocas, ein kreisförmiges Korallenriff von 1,8 Seemeilen Durchmesser mit zwei kleinen Sandinseln mittendrin. Das unbewohnte Atoll steht unter Naturschutz. Mit einer Sondergenehmigung dürfen wir dieses einsame Fleckchen Land im Atlantik anlaufen und sind nun natürlich gespannt, was uns dort erwartet.

Absichtlich sind wir abends losgesegelt, weil wir uns dem flachen, erst auf wenige Seemeilen hin sichtbar werdenden Riff bei Helligkeit nähern wollen. Zwar steht auf einer der Inseln ein Leuchtfeuer, aber die Frage ist halt, ob es auch brennt.

Draußen auf See beutelt uns eine hohe Dünung, der Wind flaut ab. Die Freydis torkelt wie betrunken durch die helle Vollmondnacht. Nur ab und zu verdunkeln Wolkenungetüme den gelben Lampion am Himmel und erschrecken uns mit Starkwindböen und kühlen Regengüssen. An Schlaf ist nicht zu denken, in der Koje wird man hin und her gerollt, selbst im Liegen läßt mich die Seekrankheit nicht los. Die Mallungen haben uns offensichtlich wieder am Wickel. Der Sonnenaufgang erscheint mir wie eine Erlösung und ich begrüße ihn in freudiger Erwartung auf kommende Abenteuer.

Etwas später höre ich vereinzelt Vogelschreie, Tölpel kreisen über der Freydis wie Späher, ausgesandt von einem nicht mehr weit entfernten Land.

Langsam müsste das Atoll in Sicht kommen, falls wir uns nicht vernavigiert haben. Seit gestern abend weigert sich nämlich unser GPS, einen Standort anzuzeigen. Wahrscheinlich hat er wieder mal nicht genug Satelliten für seine Berechnungen. Immer mehr Tölpel und jetzt auch Seeschwalben und Paradiesvögel fliegen über uns hinweg oder versuchen irgendwie auf der Freydis zu landen.
Angestrengt halten wir Ausschau nach Land. Laut Seehandbuch sind bei Hochwasser nur ein Teil der Klippen und die beiden niedrigen Sandinseln im Westteil des Atolls zu sehen.

Endlich, gegen neun Uhr, kommen etwa fünf Seemeilen voraus einige turmähnliche Gebilde in Sicht. Das Geschrei, Gezeter und Gezwitscher der zahllosen, wirr durcheinander fliegenden Inselbewohner wird geradezu ohrenbetäubend, als wir uns dem Riffkranz nähern, der die leuchtend weißen Eilande umgibt wie eine Dornenhecke, die vor ungebetenen Gästen schützen soll – vor uns? Nachdem wir rundum vergeblich nach einer Durchfahrt für die Freydis gesucht haben, entschließen wir uns, vor der Riffkante, an der Nordwest-Seite des Atolls, zu ankern.

Trotz des Landschutzes ist das ein unruhiger Liegeplatz bei hohem Schwell, weil die Passatdünung um das Riff herumläuft. Von der Seekrankheit kann ich mich hier gewiß nicht erholen. Sobald wir uns vergewissert haben, daß der Anker hält, fliehen wir mit dem Dingi von Bord. Aber wie sollen
wir nur über das Riff kommen? Wir fahren daran entlang, immer auf der Hut, nicht mit einer Welle auf die scharfen, spitzen Kanten gestoßen zu werden. Schließlich finden wir eine schmale Öffnung und hangeln uns über einen verworrenen Wasserpfad durchs Korallenlabyrinth ans Ziel unserer Wünsche.

Vor uns eine Lagune mit spiegelglattem, türkisfarbenem Wasser und einem unbeschreiblichen Strand. Noch nie haben wir einen funkelnderen, weißeren Sand gesehen. Kein Wunder, weil es auch gar kein richtiger Sand ist – der Strand besteht allein aus zerriebenen Korallen und Muscheln.

Staunend und fast geblendet stehen wir auf unserem neu entdeckten Land und schauen uns um.

Der Himmel über den beiden Inseln ist fast schwarz vor Vögel. Abertausende Seevögel – Seeschwalben, Tölpel und Fregatten – sind hier beheimatet. Unentwegt landen und starten sie auf saftig-grünen Grasteppichen, die mich mit all den Vogelfamilien an überfüllte Picknickwiesen an einem Sommersonntag zuhause erinnern. Der Luftraum scheint völlig überlastet, Zusammenstöße sind trotzdem selten, und wenn, dann verlaufen sie harmlos. Nur wenige armselige Bäumchen säumen den Strand – ihre mageren Äste tief gebeugt von der schweren Last der Vögel, die sich auf ihnen drängeln. Auch eine Handvoll Kokospalmen wächst auf der bananenförmigen Miniinsel. Mit all dem Federvieh in ihren Kronen sehen sie aus wie riesige Staubwedel.

Wir schlendern am Strand entlang zu den Ruinen, die wir als erste Landmarken von See aus hatten ausmachen können. Im Sand finde ich viele leere kleine Panzer gerade geschlüpfter Seeschildkröten. Bevor sie das rettende Wasser erreichten sind sie schon hungrigen Vögeln und Krebsen zum Opfer gefallen. Wir kommen zu einem windschiefen, verrosteten Stahlbetongerüst eines ehemaligen Leuchtturmes. Es steht dicht am Ufer und wird von Hunderten faustgroßer roter Krebse belagert, die alle an seinen feuchten Wänden Schutz vor der heißen Mittagssonne suchen. Auf den Mauerresten des eingestürzten Leuchtturmwärterhauses reihen sich schwarzweiße Vogelleiber dicht an dicht wie Wehrsoldaten auf den Zinnen einer Burg. Daneben eine zementierte Wanne, so groß wie ein kleiner Swimmingpool, in der auf der süßwasserlosen Insel einst das Regenwasser gesammelt wurde. Jetzt ist die Zisterne geborsten und zum Strand hin abgerutscht.

In Brasilien erzählt man uns später die traurige Geschichte der letzten in den Vierziger Jahren hier lebenden Leuchtturmwärterfamilie. Zu dieser Zeit wurde das Atoll zweimal jährlich von einem Versorgungschiff angelaufen, das u.a. einen großen Tank mit Süßwasser füllte. Als der Versorger aber eines Tages (nach der üblichen Zeit) wieder anlandete, fand er die kleine Familie verdurstet vor. Die Tragödie konnte man sich nur so erklären; das Kind des Leuchtturm-wärterpaares hatte wohl den Hahn des Tanks geöffnet und das kostbare Naß floss ins Meer, ehe die Eltern es bemerkten.

Landeinwärts reckt sich ein schlankes Stahlgerüst neueren Datums gen Himmel, an dessen Spitze eine solarzellengespeiste, computergesteuerte Lampe pünktlich um 18 Uhr – wie wir später feststellen – ihr Licht in die Ferne sendet. Sicher wird sie vielen Schiffen ein Schicksal wie das der zahllosen, vorher schon auf dem Riff gestrandeten, ersparen helfen.

Bei Niedrigwasser untersuchen wir die Reste einer Ferrozementyacht, deren Rumpfboden samt Kiel und Ruder noch leidlich erhalten ist. Unweit davon einen rostigen muschelverkrusteten Yachtmotor. Zerstörung durch Naturgewalten inmitten eines Naturidylls. Ein paar Seeschwalben hocken auf den Trümmern eines Seglertraums.

Auch wir picknicken am Nachmittag auf den „Vogel-Picknickwiesen“. Im spärlichen Schatten der Palmen am Strand genießen wir statt Kaffee und Kuchen die fast noch klare Flüssigkeit grüner Kokosnüsse, schauen den Vögeln beim Fischen zu und dem blaugrünen Meer, wie es langsam über das Riff klettert und es mit tosender Brandung in Besitz nimmt. Noch immer flimmert die Luft vor Hitze und die untergehende Sonne brät am Himmel wie ein riesiges Spiegelei. Erst als das Meer die Sonne endgültig verschluckt hat, reissen auch wir uns los von diesen verwunschenen Inseln, auf denen außer dem Leuchtfeuer, dessen rhythmischer Strahl unsere Freydis jetzt jeweils für kurze Augenblicke der Dämmerung entreißt, nichts an die hektische, übervölkerte und übertechnisierte Welt um sie herum erinnert. Der helle sandige Grund weist uns wie ein Leuchtstreifen gespenstisch den Weg durchs Riff zurück zu unserem Schiff.

Die ganze Nacht fliegen die Vögel zwischen See und Inseln geschäftig hin und her. Ab und zu wache ich auf und höre die hohen Fistelstimmen der Seeschwalben: Frederick, Frederick rufen.

Am morgen läßt sich wieder der vorwitzige Tölpel mit einem hellen und einem dunklen Auge, der uns schon am Vortage besuchte, auf unserem schaukelnden Bugkorb nieder. Stundenlang klammert er sich dort mit seinen Schwimmfüßen fest. Mit seinem langen spitzen Schnabel wehrt er nicht nur die Konkurrenz ab, sondern er untersucht damit auch unsere Buglampe samt den Kabeln. Erich sieht’s mit gemischten Gefühlen. „Muß ausgerechnet so ein Tölpel Galionsfigur auf der Freydis spielen, warum nicht ein edler Paradiesvogel?“

Nach einem weiteren geruhsamen Vogelinseltag ist am dritten Morgen Schnorcheln angesagt. Erich will sich vergewissern, daß Anker und Kette nicht in Korallen haken, mich treibt die Neugier auf die Unterwasserwelt zur Aussenkante des Riffs. Kaum am Heck mit dem Kopf untergetaucht, huschen schon Schwärme fingerlanger, buntschillernder Fischchen wie kleine Kolibris vor meiner Brille hin und her, manche bleiben auch Auge in Auge mit mir richtig davor stehen. Ein Stockwerk tiefer ziehen Schulen armlanger, blaugrauer Fische wohlformiert ihres Weges. Vor mir, langsam ansteigend, das Korallenriff. Plötzlich taucht ein grosser dunkler Schatten am Grund auf. Etwa zwei Meter lang mit typischer Silhouette und starren grauen Augen. Unverkennbar, ein Hai! Wie ein Blitz durchzuckt es mich. Er schwimmt jetzt geradewegs auf Erich zu, der vorn am Bug den Unterwasserbewuchs kontrolliert und ihn offenbar nicht bemerkt. In wilder Panik klettere ich an Bord und haste nach vorn. „Ein Hai, Erich, ein Hai unter Dir!“ schreie ich. Erich, gerade aufgetaucht, hört mich. Ein kurzer Blick ins Wasser, dann ein Kraulsprint zur Badeleiter und ein Hechtsprung über die Reling. Wasserspuckend und außer Atem sitzt er an Deck als die sichelförmige Rückenflosse wie ein Messer an der Badeleiter vorbei durchs Wasser schneidet.

Am Abend nehmen wir Abschied von diesen korallenbewehrten, haifischbewachten „Dornröschen-Inseln“, die uns einen jener Naturerlebnisse schenkten, wie sie, außer in wenigen Reservaten, dem Menschen schon fast überall längst verloren gegangen sind. Wie kleine Nachtgespenster begleiten uns die Seevögel von Das Rocas noch lange auf unserem Weg nach Westen in Richtung brasilianische Küste.

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Episode 5: Fernando Noronha – der Finger Gottes

Dienstag, 22.12.2015, La Palma

Die Insel war so isoliert, daß sie eigene Arten von Pflanzen und Tieren entwickelte, sie war auch so fern, daß ein eigener Menschenschlag sich fand.

(Joseph Conrad)

Ein übellauniger Geselle kann er sein, der Passat, das ist für Seeleute keine neue Erkenntnis, aber diesmal hat er es bei seinen übermütigen Katz und Maus-Spielchen (wir als Maus) wirklich etwas zu weit getrieben. Nie ließ er die Freydis zur Ruhe kommen, fauchte sie ständig grimmig von allen Seiten an, wirbelte ruppige Seen auf und machte zudem noch gemeinsame Sache mit dem Südäquatorialstrom, der unser gutmütiges Schifflein immer stärker WNW-lich und weg von unserer Zielgeraden versetzte. Aber nun, da dieser Quertreiber seine Kraft verliert, können wir einen günstigeren Kurs laufen, dem Passat endlich den Rücken kehren.

Das Segeln wird wieder segelnswert! Ruhig gleitet die Freydis jetzt über die zwar hohen, aber weichen und langgezogenen Wellen der atlantischen Südäquatorialzone. Dankbar für diese angenehme Erleichterung liegen wir auf den mit Schaumstoff-Matten gepolsterten Bänken im Cockpit und genießen entspannt den verträumten Abendhimmel. Wir sind müde von den zuletzt durchgestandenen Tagen auf See. Segeln ist eben kein Müßiggang, nicht einmal das Passatsegeln auf der „Barfußroute“. Ständig erfordert es Einsatz, wenn auch mit unterschiedlicher Intensität. Den Elementen ist es schnurzegal, ob wir fit, erschöpft oder seekrank sind. Regelmäßig müssen Segel, Rigg, Maschine, Batterien, Sicherheitseinrichtungen etc., etc. kontrolliert, jede Veränderung des Windes, der Strömung, des Seegangs, des Himmels, der Bordgeräusche muß wahrgenommen und auf eine mögliche Gefährdung des Schiffes überprüft werden, um gegebenenfalls blitzschnell handeln zu können. Es gehört zur guten Seemannschaft, daß alle „normalen“ Instandhaltungsarbeiten auf See erledigt werden. Die meist kurzen Landaufenthalte sind uns für Lappalien-Reparaturen auch viel zu schade, da wir zudem erfahrungsgemäß wissen, daß meist doch noch genug Reparaturbedürftiges übrig bleibt, das nur im Hafen oder am Liegeplatz in Ordnung gebracht werden kann, was dann zwangsläufig die Mußezeit an Land verkürzt.

Der wunderbar klare Himmel über uns glitzert voller funkelnder Punkte. Einer davon jagt wie ein himmlischer Eilkurier zwischen den anderen hindurch. „Kann nur ein Satellit sein“, kommentiert Erich, und ich – völlig unsentimental – „vielleicht kann das GPS ja damit endlich wieder mal einen Ort berechnen“. Und wer sagt’s denn, kurz darauf haben wir tatsächlich unseren Standort – halt per Eilboten.

Am frühen Morgen schleicht sich von hinten ein Damferungetüm an. Als es bloß noch eine Meile entfernt ist, starten wir – für alle Fälle – die Maschine, man weiß ja nie, wer auf einer Brücke gerade Ausguck hält oder nicht hält, vielleicht das Radar ganz alleine? Aber nein, wir werden über UKW gerufen. Der anonyme Großfrachter entpuppt sich als Russe mit Stückgut von Italien nach Rio do Sul in Brasilien. Der Funker möchte wissen, woher wir kommen und welches Ziel wir haben.
Von Cuxhaven in Deutschland, antwortet Erich, und wir seien auf dem Weg in die Antarktis. Der Russe fragt noch einmal nach: „Where are you going?“ Vielleicht glaubt er, wir wollten ihn auf den Arm nehmen oder er hätte sich verhört. „Erst einmal nach Fernando Noronha“, erklärt ihm Erich, der Funker ist’s zufrieden. Viel Glück und gute Fahrt wünscht er uns, und als das Riesenschiff keine 50 Meter von unserer Nußschale entfernt vorbei brummt, winken uns einige Besatzungsmitglieder freundlich zu. Wir freuen uns, winken zurück. Auch heute noch, wo viele Yachten und Schiffe den Atlantik queren, ist der rasch vergängliche Augenblick, in dem sich zwei Schiffe inmitten des weiten Ozeans freundlich begegnen, etwas Besonderes, Erfreuliches, jedenfalls für uns – ein Hauch von der alten Freiheit der Meere.

Und noch etwas Erfreuliches. Endlich Delphine um unser Schiff!

Sie haben uns also doch noch gefunden. Wie lange habe ich schon auf diese freundlichen Meeresbewohner gewartet, nun sind sie da, umkreisen uns wie gute alte Bekannte. Eine ganze Weile begleiten sie uns, etwa ein Dutzend größere und kleinere Tiere. Eine Familie, eine Schule? Einer der Größeren ist verletzt; wenn er auftaucht oder springt, sehen wir eine klaffende Wunde an seinem Maul. Wir fragen uns, woher sie wohl rührt. Von einem Hai, einer Schiffsschraube, einem Netz? Der Delphin kann es uns nicht sagen, er schwimmt tapfer weiter in seiner Gruppe mit.

Der Himmel hat sich bezogen, es nieselt. Mitte Juli bekommen wir gerade noch das Ende der Regenzeit mit, der letzte Rest an Feuchtigkeit wird noch über uns ausgewrungen. Danach wird es trocken und viel heißer werden und auf den Inseln wird die große Dürre einsetzen, bis zur nächsten Regenzeit.

Kräftige Böen pusten ins Schmetterlingssegel und lassen unser Schiffchen ganz schön temperamentvoll durch die Seen geigen. Unentwegt surrt die elektronische Selbststeueranlage und signalisiert ihren hohen Einsatz beim Kurshalten – aber keiner von uns will ihr das schwere Joch des Rudergehens abnehmen. Warum auch, dazu ist sie ja schließlich da. Hoffentlich hält sie durch.

Am späten Nachmittag kommen voraus zwei Leuchtfeuer in Sicht. Eines steht auf Fernando Noronha selbst, das andere auf einem Felsen nordöstlich der Insel. Schon einmal, auf unserer ersten Atlantiküberquerung mit der Freydis vor zehn Jahren, haben uns die beiden Lichter sicher zu dem 600 sm von der brasilianischen Küste entfernten Eiland geleitet, auf dem wir unvergesslich schöne Tage verbrachten. Wie mag es uns jetzt empfangen? Ist es noch immer das unverdorbene Naturparadies geblieben, das wir kennengelernt haben, oder hat auch hier schon der Sündenfall stattgefunden?

Nur noch drei Meilen bis zum Ziel. Das Geschrei und Gezwitscher unserer unsichtbaren Begleiter in der Luft dringt immer lauter durch die rabenschwarze Neumondnacht. Wir beratschlagen, ob wir nicht lieber den Morgen auf See abwarten sollten, um bei Helligkeit die Ankerbucht anzulaufen. Jede Menge Felsen und blinde Klippen lauern um die Insel herum und sogar drinnen in der Bucht. Bei Dunkelheit können sie einen in böse Schwierigkeiten bringen. Andererseits sind wir von der Aussicht, eine lange Nacht vor dem geschützten Ankerplatz beigedreht zu liegen oder hin und her kreuzen und Wache gehen zu müssen, gar nicht begeistert. Wir entscheiden uns schnell: Wir kennen die Bucht ja schon und verfügen zudem diesmal über Radar und GPS. Wir beschließen also, mit aller Vorsicht einzulaufen.

Während Erich am Ruder die vorgelagerten Felsen und Klippen mit dem Handscheinwerfer sucht und anleuchtet, verfolge ich unten in der Navigation mit Hilfe von Radar und GPS den Kurs auf der Karte. Die Zusammenarbeit klappt hervorragend. Problemlos finden wir den Weg in die nach Süden weit geöffnete Bucht und laufen auf ein Licht am Ufer zu, das wir als das Arbeitslicht der kleinen Fischereigenossenschaft wiedererkennen. Auf fünf Meter Wassertiefe fällt der Anker. Als wir sicher sind, daß er gegriffen hat, setzen wir uns noch ein Weilchen ganz und gar zufrieden ins Cockpit. Wir hören den Vögeln zu und der See, die am nahen Ufer die kleinen Steine im Rhythmus der Wellen unermüdlich hin und her rollt und freuen uns auf den nächsten Tag an Land.

Fernando de Noronha: Das alte Fort mit dem Pico

Ein geradezu paradiesischer Morgen…

…lädt uns in den neuen Tag ein. Kein knatternder Außenborder, kein Hafenlärm, unsere Sinne nehmen nur sanfte Meeres- und Vogelstimmen auf. Ein Tagesanbruch wie auf einer menschenleeren Insel. Beim Frühstück bemerken wir allerdings, daß in der Bucht doch nicht mehr alles Natur pur ist. Seit unserem letzten Besuch hat sich doch einiges verändert. Da ist eine stramme Steinpier reingemauert worden, die ein Hafenbecken abtrennt, das den kleinen Fischerbooten Schutz vor nördlichen Winden bietet, vor denen sie früher zur gegenüberliegenden Seite der Insel flüchten mußten.

Und dann – unverkennbar – Touristen! Entsetzt sehen wir uns an, als hätten wir die Schlange im Paradies entdeckt. Den Gedanken, daß wir wohl selbst auch ein Teil dieser „Schlange“ sind, verdrängen wir dabei großzügig. Stattdessen beobachten wir mit dem verärgerten Argwohn solcher Zeitgenossen, die glauben, ältere Rechte zu haben, die fremden und doch so üblich-wohlvertrauten bunten Feriengestalten, die sich, auf den Steinen der Mole herumkraxelnd, bemühen, das alte Franzosenfort und dazu den Berg „Pico“, das Wahrzeichen der Insel, mit Fotoapparaten und Videokameras einzufangen.

Ganz in unserer Nähe schwoit eine schnittige Yacht, die einmal bessere Tage gesehen haben muß. Viele Rosttränen haben schmutzigbraune Spuren auf ihrem weißen Kleid hinterlassen. Sie wirkt nicht nur verlassen und heruntergekommen, sie ist es auch. Ihre Geschichte gehört auch nicht gerade in unser Paradies. Der Hafenmeister erzählt uns später, daß sie vor ein paar Jahren als Kokainschmuggel-Werkzeug an der brasilianischen Küste beschlagnahmt und anschließend als brasilianisches Staatseigentum nach Fernando Noronha gebracht worden war. Seitdem rostet sie hier vor sich hin und wird’s wahrscheinlich auch weiter tun. Niemand fühlt sich für sie zuständig, deshalb kann sie auch nicht verkauft werden. Schade drum.

An Land spüren wir den Plätzen nach, die wir vom letzten mal noch in Erinnerung haben. Wir wandern über die Insel zum alten Fort, besuchen das einzige, 1500 Einwohner zählende Dorf Vila dos Remeclios, und die wunderschönen kleinen Buchten, von denen die meisten auch heute noch menschenleer sind. Mit ihren blütengespickten Säumen aus sattgrünem tropischen Regenwald-Dschungel, ihrem türkisfarbenen, glasklaren Wasser, das Tausende von Meilen kein Land berührt, bevor es der Südäquatorialstrom hier an die Ufer dieser Insel spült, kommen sie uns noch immer vor wie ungeschliffenen Juwelen aus der verborgenen Schatztruhe unserer Natur.

Eine Krabbe im glasklaren Wasser

Im Dorf Vila dos Remedios

Während wir in einer dieser Wonnebuchten baden und es uns richtig gut gehen lassen, frage ich Erich scherzhaft, ob wir nicht vielleicht doch lieber hier überwintern sollten, statt ausgerechnet in der Antarktis. „Was willst du eigentlich“, antwortet er mit gespielter Entrüstung, „auf der Vulkaninsel, wo wir hinwollen ist das Wasser doch genauso sauber und sogar viel wärmer als hier und dort kannst du auch deine Sachen unbeaufsichtigt am Strand liegenlassen. Pinguine und Robben sind bekannt für ihre Ehrlichkeit. Außerdem kommt dort bestimmt keiner auf die Idee uns 27 $ Liegegeld pro Tag abzuknöpfen“.

Dagegen läßt sich kaum was sagen!

Die teuren Hafengebühren werden sich unter den Seglern schnell herumsprechen. Wahrscheinlich werden in Zukunft nur noch wenige, zahlungskräftige Yachten die Insel für mehr als ein paar Tage aufsuchen. Und genau das will man auf Fernando Noronha ja erreichen: Qualität statt Quantität. Besonders seit große Teile des dem brasilianischen Festland vorgelagerten Archipels – einschliesslich Fernando Noronha – 1988 zum Nationalpark erklärt wurden, kommen auch immer mehr Touristen und bringen Geld in die Kasse. Ein unkontrollierter Touristenboom allerdings, der keine Rücksicht auf die Natur nimmt, hätte binnen kurzem die Zerstörung der Ursprünglichkeit der Insel zur Folge, deretwegen die Gäste ja gerade kommen. Das wollen sowohl die Naturschützer wie auch die „Kassierer“ verhindern. Noch ist der Tourismus „handlich“ – hohe Preise und geringe Bettenkapazität halten die Gästezahl niedrig. Pauschalreisen von Recife aus lassen sich nur für eine Woche buchen, Anreisen auf eigne Faust sind bisher noch nicht möglich, wenn man nicht gerade mit der eigenen Yacht daherkommt. Bisher gibt es nur ein einziges Hotel auf der Insel. Ein zweites, größeres ist allerdings geplant. Man kann nur hoffen, daß es nicht zu groß gerät, nicht weitere folgen, daß die Natur nicht auch hier vor der Profitgier kapitulieren muß.

Wir staunen nicht schlecht: das alte Hotel, das wir kannten, hat sich herausgeputzt, ist voller Leben. Bei unserem letzten Besuch hatten wir die Wellblechhütten, die damals gar nicht als Hotel zu erkennen waren, in einem desolaten Zustand vorgefunden. Die Hütten waren in den Sechziger Jahren von den „Gringos“ während ihrer Satellitenbeobachtungen bewohnt worden, später in die Hände der brasilianischen Regierung übergegangen, die sie zum Hotel umfunktionierte. Notorischer Gästemangel und Versorgungsprobleme hatten aber bald wieder zu seiner Schließung geführt. An Gästen mangelt’s nun nicht mehr, es ist angebaut worden und alles ist belegt. Auch das Versorgungsproblem scheint gelöst. Diesen Eindruck bekommen wir jedenfalls beim Abendessen in der Hotelkantine. Unser Hunger auf Frischfleisch, Grünzeug und Obst wird auf’s Beste und dazu noch recht preiswert gestillt.

Während eines solchen Essens lernen wir auch den jungen Ozeanografen José Martin kennen, der hier als Naturschutzbeauftragter arbeitet. Natürlich besuchen wir seine Film- und Diavorträge, mit denen er versucht, den Touristen und Einheimischen mehr Wissen und damit Verständnis für die so einzigartige Natur der Insel zu vermitteln.

Wie die Felsen von St. Peter und Paul ist auch Fernando Noronha nur die Spitze eines gigantischen submarinen, erloschenen Vulkans. Im Gegensatz zu den festlandsnahen Inseln hatte sie aber niemals Verbindung mit dem Kontinent. Die Insel war so isoliert, daß sich ähnlich wie auf den Galapagos im Pazifik und auf Aldabra im Indic, endemische Arten von Tieren und Pflanzen entwickelten, also Flora- und Fauna-Arten, wie sie nirgendwo sonst auf der Erde zu finden sind. Zum Beispiel eine spezifische Tölpel-Art und Landkrabben, die eine beachtliche Größe (bis 20 cm Durchmesser) erreichen können. Wir können sie häufig auf unseren Abendspaziergängen beobachten, wenn sie gemeinsam mit uns über die Insel Richtung Strand marschieren. Angesichts solcher „Zehen-Amputierer“ bewege ich mich durch Wiesen und Gestrüpp nur noch wie ein Storch im Salat. Zum Ausgleich gibt’s hier aber keine Schlangen, ja überhaupt nichts Giftiges, auch keine Insekten – von Moskitos wird niemand geplagt. Unter den Pflanzen ist eine Fichtenart inselspezifisch. Zum Glück wurde sie 1832 nicht ausgerottet, als sämtliche Bäume auf der Insel gefällt wurden, um zu verhindern, daß hierher verbannte Gefangene die Insel mit Hilfe von Flößen verließen.

Die Delphine

José Martin arbeitet auch an einem Projekt zur Erforschung der Delphine. Diese Tiere leben zwar in allen Ozeanen, aber nur an zwei Orten, auf Fernando Noronha und in der Kealakekuabucht der Hawaii-Insel Big Island kann man sie in größerer Zahl das ganze Jahr über beobachten. José und seine Freunde holen uns eines Morgens mit dem Landrover ab und nehmen uns mit zur Bahia Leon, der Delphinbucht. Der Delphin-Beobachtungsposten liegt am Rand eines 150 Meter hohen, halbkreisförmigen Felsenkliffs, das eine große, nahezu strandlose Bucht umgibt. Von hier oben haben wir einen herrlichen Blick auf das klare grüne, sich zum Ausgang der Bucht immer tiefer blau verfärbende Wasser bis weit hinaus auf’s offenen Meer. So leicht kann uns nichts entgehen, was sich da unten bewegt. Wir entdecken Schildkröten, die dicht unter der Wasseroberfläche auf gelblichen Korallenköpfen weiden und immer mehr Delphine, die eine wahre Akrobatikshow abziehen. Paarweise oder in kleinen Gruppen ziehen sie durch die Bucht, dabei immer wieder mehrere Luftsprünge hintereinander vollführend, in die sie auch noch Doppel- und Dreifachaxel einbauen, geradeso, als müßten sie bei einer Kür den höchsten Schwierigkeitsgrad erreichen. Ihre kunstvollen Sprünge haben ihnen den Namen „Gofinos rotatores“ (rotierende Delphine) eingebracht.

„Die Bucht ist der Ort, wo sich die Delphine paaren, ihre Jungen gebären und aufziehen, und wo sie Ruhe finden, wenn sie bei Sonnenaufgang von See zurückkehren, wo sie in der Nacht fischen“, erklärt uns José. Früher seien die Tiere häufig durch Fischer, Taucher und Tierbeobachter gestört worden. Sie hätten sich immer seltener hier aufgehalten. Erst als die Bucht vor zwei Jahren für alle Schiffe gesperrt worden sei, habe ihre Zahl wieder zugenommen. 80 zählt José an diesem Morgen, darunter auch Jungtiere.

Zehn Monate dauert die Tragzeit, erfahren wir, und bei Geburt sind die Jungen ca. 80 cm lang. Erwachsene Tiere erreichen durchschnittlich 1.90 m und 90 kg – Größe und Gewicht eines kräftigen Menschen also. Kaum zu glauben, wenn man ihrem Pirouettentanz auf dem Wasser zuschaut, der so federleicht, anmutig und spielerisch erscheint Was sie zu dieser Leistung treibt, kann uns José auch nicht sagen. Schiere Freude am Leben vielleicht? Man möchte es fast glauben, denn ein bißchen davon überträgt sich beim Anblick auf uns selbst.

Tauchen und Schnorcheln

Zum Tourismus gehört heutzutage natürlich auch eine Tauchschule. Kein Wunder, die Bedingungen für diesen Sport sind hervorragend. Daß dabei allerdings auch Erfahrene nicht vor Überraschungen sicher sein können, das demonstriert unfreiwillig ein Tauchlehrer seinen Schülern, während wir in der Nähe schnorcheln. Eine armdicke „zahme“ Muräne, der er liebevoll seine Hand entgegenstreckt, mißversteht diese freundliche Geste und beißt böse zu. Ein kleines Gefahrenspielchen ist wohl auch der vertraute Umgang mit den „gar nicht angriffslustigen“, bis zu zwei Meter langen Haien. Das jedenfalls berichten Taucher, die Haie dort in Notwehr harpunieren mußten. Wir schnorcheln am liebsten in den schwimmbeckenartigen Vertiefungen des Außenriffs, zu Fuß keine zehn Minuten von unserer Ankerbucht entfernt. Dort gibt es keine Haie und das Wasser ist bei Ebbe so durchsichtig wie in einem Aquarium. In Ruhe läßt sich fast die gesamte Unterwasserflora und -fauna der Insel bewundern.

Aber nun zu unseren seglerischen Pflichten

Die kleine Hotelwerkstatt, die Tauchgeräte ebenso repariert wie alte Autos, schweißt auch unser gerissenes Auspuffrohr wieder zusammen. Die Dichtungsmasse, mit der wir auf See den Riß provisorisch zugespachtelt hatten, war bereits am Platzen. Einen ganzen Tag sind wir mit Schleppen, Schweißenlassen und dem Aus- und Einbau des schweren Rohres beschäftigt. Aber die beruhigende Gewißheit, unter Motor nicht mehr Gefahr zu laufen, mit Abgasen vergiftet zu werden, ist dies Opfer allemal wert. Danach kommt die Haut der Freydis dran: das Unterwasserschiff muß unbedingt vom Bewuchs gereinigt, der ganze Rumpf frisch gestrichen werden.

Trockenfallen am Strand: das Unterwasserschiff benötigt einen neuen Anstrich.

Am Vormittag lassen wir uns deshalb am Strand der Ankerbucht trocken fallen. Bei den zuschauenden Fischern sorgt unser aufholbarer Drehkiel für „heiße“ Diskussionen in der prallen Sonne. Zwei Tiden nützen wir aus, um bei Niedrigwasser zu kratzen, zu schrubben und zu pinseln, dann ist die Freydis wieder feuerrot – wir auch – trotz Sonnenschutzcreme. Aber nun „dürfen“ wir innen werkeln. Alle Bilgen müssen gelenzt werden. Die achtere Toilette hat ein Leck, das wir jetzt erst entdecken und abdichten. Die Bilge ist eine Jauchegrube, eine Riesenschweinerei! Nach dem Pumpen müssen wir den letzten Rest sogar mit Schwämmen und Bürsten rausholen. „Jetzt weiß ich wenigstens wozu man Kielschweine braucht“, motze ich, während wir im stinkenden Sumpf wühlen. „Arbeit adelt“, verkündet Erich trocken.

Die Insel wollen wir auf keinen Fall verlassen, ohne den 323 Meter hohen, turmartigen „Pico” bestiegen zu haben, dessen Gipfel eines der beiden Leuchtfeuer trägt, die uns den Weg zur Insel wiesen. Zu Zeiten Amerigo Vespuccis, der das Atoll auf seiner dritten Reise nach Brasilien 1503 als Erster besucht haben soll, diente der Pico zwar noch nicht als überdimensionaler Leuchtturm, aber es ist trotzdem anzunehmen, daß er es war, der dem Schiff die Insel verriet. Wer könnte diesen abgeknabberten Lavapfeiler auch übersehen, der so auffällig und kerzengerade in den Himmel ragt und deshalb auch „Finger Gottes“ heißt? Vor vielen Millionen Jahren erhob sich hier ein hoher Aschenkegel aus dem Meer, der gelegentlich auch Lava spuckte. Als seine vulkanische Tätigkeit erlosch, verwitterte der Berg. Wind und Wellen trugen Asche und dünne Lavaströme mit sich fort. Nur der massive Lavasockel und der riesige Lavapfropf, der den Vulkanschlot ausfüllte, blieben übrig.

Die Insel und der Pico waren geboren.

Besteigung des Pico…

Auch Darwin erwähnt den Berg in seinem Tagebuch 1831 bis 36. Weil er das Archipel zur Trockenzeit anlief, beschrieb er dessen Vegetationsmantel als äußerst spärlich. Wir dagegen stapfen durch üppig wucherndes Grün bis zu seinem Fuß. Dann allerdings stehen wir vor einer fast nackten Felswand.

Gipfelbesteigung

Es ist früh am Morgen und wir haben noch eine Stunde Zeit, bis die Sonne den Berg wieder wie einen riesigen Schamottstein aufheizt. Bis dahin wollen wir den Gipfel der Lavasäule erklommen haben. Daß man das überhaupt kann ohne ein verwegener Freeclimber zu sein, verdanken wir wieder einmal der amerikanischen Armee, die in den vierziger Jahren die Insel als Federal Territory verwaltete und eine schmale eiserne Himmelsleiter, die auch überhängende Felswände überbrückt, bis zum Gipfel baute. Manche Abschnitte sehen allerdings nicht mehr allzu vertrauenserweckend aus. Einzementierte Verankerungen haben sich gelöst, Stufen und Stangen sind verbogen oder durchgerostet. Erich hat Bedenken sich und sein Gewicht da dranzuhängen. Ich werde als Testperson vorweggeschickt. „Wenn sie hält, sagt das doch noch gar nichts, schließlich bist du doppelt so schwer wie ich“, gebe ich zu bedenken.

…auf rostigen Eisenleitern…

„Gut, aber wenn sie nicht hält, sagt das schon eine Menge“, grinst Erich. Tapfer hangeln wir uns immer höher, vermeiden dabei nach unten zu schauen, wir sind beide nicht schwindelfrei. Muß der Blick aber doch mal sein, überkommt uns schlagartig ein mächtiges Gefühl des Hinabstürzens. Also immer schön nach oben gucken, Angst verdrängen und gut festhalten. Nach einer Stunde haben wir den Gipfel des Berges und auch unseres Berg-Schwindels erreicht. Ach hätte ich doch bloß meinen Lifebelt mitgenommen, dann könnte ich mich wenigstens irgendwo festbinden! Vom Festkrallen schmerzen mir schon die Finger. Und ein ganz schön steifer Passatwind weht hier oben auch.

Tölpel, Fregatten, Seeschwalben und Tropikvögel segeln dicht an uns vorbei. In der Sonne leuchten ihre Flügel grellweiß vor der schwarzen Lavawand. Geschickt nutzen sie die Auf- und Abwinde am Berg, lassen sich hochreißen und in die Tiefe stürzen. Einige sitzen mit ihrer Brut auf winzigen Vorsprüngen senkrechter Wände. Haben die Nerven! Ich kann gar nicht hinschauen. Wir kauern uns ganz oben neben das Leuchtfeuer, blicken aus der Vogelperspektive über die sonnige Insel, die Felsenkegel im Meer, die Strände und Buchten.

…bis auf die Spitze mit herrlichem Rundblick…

In ihrer Ankerbucht schwoit eine winzige Freydis. Die Luft läßt sich genüßlich einsaugen, die Fernsicht läßt sich nicht beschreiben.

Aber wir Banausen erleben das alles nur unter Vorbehalt: Die Vorstellung, auch wieder hinunter zu müssen, vermiest uns unseren Gipfelsieg. Wie heißt es so schön: „Schuster bleib bei deinen Leisten“ – wir sind eben Segler, keine Alpinisten!

Viel Platz ist nicht neben dem Leuchtfeuer in luftiger Höhe

Nicht die Touristen – die Einheimischen

Zur Identität einer bewohnten Insel gehören natürlich insbesondere ihre Menschen. Nicht die Touristen, die Einheimischen, die auf der Insel geboren und aufgewachsen sind. Uns scheinen sie von einem besonders glücklichen Schlag zu sein. Wir können jedenfalls nur Positives von ihnen berichten, weil wir in der kurzen Zeit, die wir bei ihnen waren, eben nur Positives erfahren haben: freundliches Lachen, Anteilnahme, Interesse ohne üble Neugier, Hilfsbereitschaft auch ohne Bezahlung und unaufgefordert. Wer es auch war, der Hafenmeister, sein Mitarbeiter, der Besitzer des Dorfminiladens, der Fahrer des Wagens, der uns ein Stück Weg mitnahm, Kinder, Bauern, Fischer mit denen wir ins Gespräch kamen, ob schwarz, braun, hellhäutig, alt oder jung, alle schienen sie zufrieden, ohne Stress und vor allem ohne Neid auf vermeintlich Wohlhabendere.

Diese Menschen, die von zehn Jahren noch ausschließlich von der Fischerei und ein wenig Obst- und Gemüseanbau lebten, profitieren natürlich nun auch vom neuen Inseltourismus. Bisher haben sie sich aber dabei ihre Aufgeschlossenheit und Unvoreingenommenheit gegen Fremde bewahrt. Als ich Erich frage, was ihm am allerbesten auf der Insel gefallen hat, antwortet er deshalb auch ohne Zögern „Die Menschen – kein einziger blöder Typ dabei“. Es gibt noch Paradiese!

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Auf der Blauwasser-Barfussroute

Sonntag, 25.10.2015, Heidelberg

Dies ist der ungekürzte, ungeschminkte Text, der dem Essay von Heide zugrunde liegt, das die YACHT in Heft 5 /2014 veröffentlichte: Es ist ein Resümee der ersten zwei Jahre seit unserem Start mit der neuen FREYDIS in Leer/Ostfriesland im Juli 2012.

Die gekürzte – für deren Leser der YACHT leicht „geglättete“ – Fassung erschien in der Yacht (5/2014) unter dem Titel:

„Einst Abenteurer, heute Touristen“

Am Strand der Pinieninsel, Neukaledonien

Das Bild vom Segler hat sich gewandelt:

Wenn wir früher irgendwo einliefen, kamen oft wildfremde Menschen ans Boot, fragten, ob wir ihre Waschmaschine benutzen wollten, boten uns an bei ihnen zu duschen, luden uns zum Essen ein, zeigten uns ihre Farm, ihre Insel, ihr Land. Das ist heute nicht mehr üblich.

Das Ansehen normaler Fahrtensegler hat in dem Maße abgenommen, in dem die Welt geschrumpft ist. Die letzten Winkel sind entdeckt, die Meere leergefischt, die Strände verschmutzt und die Küsten infolge des Klimawandels von Katastrophen heimgesucht. Wer kann da noch Geschichten hören von schöner heiler Welt des Segelns, von Freiheit und Wildnis á la Jack London? Freude macht meist nur noch Konsum, Luxus, gehobene Lebensart. Wenn schon Weltumsegeln, dann bitte mit den Annehmlichkeiten, die man zuhause auch hat.

Alles muss elektrisch, elektronisch, hydraulisch funktionieren; aber dass man auf See auf sich selbst gestellt ist, wird dabei vergessen. Generator muss her, Waschmaschine, Spülmaschine, Kühlschrank, Mikrowelle, Klimaanlage, Wasseraufbereiter, Fernseher… vom elektronischen Kartenplotter und dem ganzen Navi-Klimbim will ich gar nicht reden. Dabei kann man davon ausgehen, dass alles irgendwann ausfällt – und das meist noch im falschesten Moment. Dann wird auf alles geschimpft, nur nicht an die eigene Nase gefasst. Wenn aber all die schönen Dinge wegfielen, wäre das Meer wieder leer.

Dabei lernt man doch gerade beim Segeln mit wenig auszukommen – lernt wie wenig man im Grunde zum Leben braucht. Aber heute hat man das Gefühl: Je mehr desto besser.

Kommerzialisierung des Segelsports

Wie gesagt, heute sind Segler keine bunten Vögel mehr, denen man spontan die Freundschaft anbietet und für deren Geschichten man sich begeistert. Heute sind Segler Touristen, eine besondere Art von Touristen, das schon, aber eben Touristen. Und so werden sie auch behandelt.

Aus diesem Grunde ist der Segelsport – und damit meine ich auch das Fahrtensegeln – viel stärker kommerzialisiert und reglementiert als früher: Ankerplätze sind meist eingeschränkt, abgesteckt, oft überfüllt oder mit – natürlich kostenpflichtigen – Murings zugepflastert. Fast überall gibt es Marinas: wenige sind wie Zeltplätze, eher spartanisch ausgestattet, viele – auch in Karibik und Französisch Polynesien – mit Pool, Service, Gastronomie und allen Annehmlichkeiten eines gehobenen Hotelbetriebs.

Weltumsegelungen werden heute mundgerecht von Experten geplant und geebnet, und manchmal auf silbernem Tablett serviert: Gruppen von Luxusyachten etwa. Immer wieder begegneten wir auf dieser Reise ((2013) Oysters in allen Größen: Wohlorganisiert schipperten sie auf ihrer World-Rally durch Karibik und Südsee von Marina zu Marina, an jedem neuen Ziel umsorgt und umworben und von den Veranstaltern mit Preisen geehrt. Das fördert Gruppendünkel und Klassenbewußtsein, Abgrenzung und Ausgrenzung unter Seglern.

Überfälle, Abzocke

Geld spielt also auch beim Segeln eine immer größere Rolle. Manchmal hat man als Segler sogar das Gefühl, man ist unter die Räuber gefallen: Man wird gnadenlos abgezockt und sogar betrogen. Die Karibik, neuerdings sogar die St. Blas Inseln, sind abschreckende Beispiele. Auf den Galapagos geht es nicht viel anders zu.

Überfälle auf Yachten vor St. Margarita veranlassen viele Segler auch der venezolanischen Festlandsküste fern zu bleiben. Auf unserem Ankerplatz, wo wir vor acht Jahren noch Hunderte von Yachten antrafen, lagen jetzt nur noch zwei oder drei; auf Porvenir – Einklarierungsinsel der St. Blas-Inseln – wurden wir regelrecht zur Ader gelassen; und selbst das zur Weltstadt gemauserte Panama (beeindruckende Wolkenkratzer und Shopping-Malls), blieb eine Räuberhöhle: Raubüberfälle auf Yachten dort sind das eine, Abhängigkeit von korrupten Agenten der Kanal-Behörde das andere. Von der Anmeldung bis zur Passage dauerte es wieder einmal ca. drei Wochen – verbunden mit hohem bürokratischem Aufwand und noch höheren Gebühren, die von Jahr zu Jahr – wir fuhren das dritte Mal durch den Panamakanal, nach 1982 und 2004 – kräftig steigen. Mit den unvermeidlichen Liegezeiten in den Marinas können das schnell mal 2000 € werden. Aber nach Ozeanien (in die Südsee) gäbe es sonst nur den Umweg über Kap Hoorn oder die Nordwestpassage.

Und die Galapagos? Als Yachtie kann man sich glücklich schätzen, dass man drei der Inseln überhaupt anlaufen darf; denn es gab Zeiten, da waren Yachten strikt ausgeschlossen, es sei denn man nahm einen teuer bezahlten einheimischen Führer an Bord.

Damals, vor 30 Jahren, durften wir nach Punta Ayora auf der Hauptinsel St. Cruz. Diesmal mussten wir in San Christobal einklarieren. Für die Bürokratie – sie dauerte zwei Tage, brachte uns insgesamt 14 Beamte der verschiedensten Behörden an Bord und kostete uns eine ganze Stange Geld, rund 1.400 Dollar – entschädigte uns das brodelnde Tierleben und die besondere Schönheit der einmaligen Natur dieser Inseln. Sie begeisterte uns wie bei unserem ersten Besuch vor 30 Jahren. Allerdings droht auf den drei stark bewohnten Inseln mit inzwischen über 30.000 Einwohnern den Tieren und der ursprünglichen Landschaft in absehbarer Zeit das Aus: Der ungebremste Zuzug von Festland-Ekuadorianern hält unvermindert an, und es wird wie verrückt gebaut.

Indirekt Schuld daran ist der Tourismus – Menschenmassen aus aller Welt strömen herbei, um Melvilles „islas encantadas“ („verwunschene Inseln“) zu bestaunen. Das ist verständlich, hat aber auf den bewohnten Eilanden eine Art Goldgräberstimmung ausgelöst. Eine rühmliche Ausnahme macht Floreana: Dort hat die deutsche Pioniersfamilie Wittmer schon vor vielen Jahren erreicht, dass weder gebaut noch investiert werden darf. Die Insel ist deshalb so „verwunschen“ geblieben – das heißt geheimnisvoll schön und wild – wie einst.

Tourismus und Bankenkrise

Wir nahmen uns viel Zeit für diese Inseln, ließen uns samt Crew von einer kleinen Agentur eine individuelle Reise mit hervorragendem Führer zusammenstellen (St. Cruz, Floreana, Isabela).

Auf St. Cruz besuchten wir natürlich auch die Angermeyers. 5 Brüder der Familie waren 1933 die ersten Siedler auf der Insel und haben sich unter unvorstellbar harten Bedingungen eine Existenz aufgebaut. Karl und seine Frau Marga, sowie Gus, hatten wir noch persönlich kennengelernt. In unserem Haus in Heidelberg hängt das Bild an der Wand, das Karl damals für uns von der Insel gemalt hat – in Ermanglung von Pinseln mit den Fingern. Die Skurrilitäten-Höhle am Ufer, in der wir Gus oft antrafen, ist nun Teil eines Restaurants, das sein Sohn betreibt. Abgesehen davon gibt es im Ort noch viele weitere Restaurants, Pensionen, Hotels und Boutiquen. Von der Einsamkeit des Pionierlebens keine Spur mehr. Auch die schwarzen Leguane, die sich auf dem Dach von Karls Haus sonnten und die Wände herunter kletterten, wenn er sie mit Reis fütterte, sind verschwunden.

In den Touristen-Hochburgen Französisch Polynesiens dagegen war es schon immer etwas teurer die Ferien zu verbringen. Dennoch strömten die Touristen. Nun aber hat die Globalisierung diese Inseln auch auf andere Weise ereilt: Infolge der Wirtschaftskrise sind nicht nur Touristen ausgeblieben (vor allem amerikanische), auch Perlen werden weit weniger verkauft. Hotels und Resorts auf Tahiti, Moorea und Bora Bora stehen leer und verfallen, und der Rückgang der Perlindustrie führte zur Schließung vieler Perlfarmen. Besonders fatal wirkt sich das auf den kleinen Inseln aus, auf denen es sonst keine Arbeit gibt.

Jedenfalls waren wir sehr erstaunt, dass man auch im allerletzten Atoll noch die Auswirkungen der Wirtschaftskrise zu spüren bekommt. Menschen haben kein Einkommen mehr, verlassen ihre Insel oder werden wieder zu Selbstversorgern. Die Touristenströme reagieren schnell; sie werden umgelenkt auf preiswertere Ziele.

Für uns ist Französisch Polynesien im Gegensatz zu Atlantik und Karibik noch immer grandios. Die lässige Lebensart hat etwas Beruhigendes und Versöhnliches. Das „Menschliche“ wiegt dort viel stärker. Unsere Erinnerungen sind deshalb auch überwiegend personengebunden, und die Natur ist eine zauberhafte Kulisse: unübertroffen für uns Fatu Hiva – fast zu schön um wahr zu sein…

In manchen Besucherköpfen spukt jedoch auch heute noch das „Südsee-Klischee“ der Pioniere. Aber die Diskrepanz zwischen Erwartung und Realität klafft heute mehr denn je auseinander. Tagelang nur einsame Inseln, umgeben von Gewässern voller Haie, übersät von Insektenstichen (Nonos, Moskitos), schweißüberströmt in feucht-heißem Klima, ohne Aussicht auf eine griechische, italienische oder spanische Kneipe – ja, vielleicht ohne eine einzige Zigarette – für manche ein Alptraum.

Auch für uns hat sich vieles verändert

Auch für uns haben sich viele Dinge auf dieser Reise geändert: Wenn wir zum Beispiel nach den alten Freunden fragten, nach den Menschen, die wir damals auf unseren Wegen durch die Inselwelt kennen gelernt hatten, so hieß es oft: „They passed away“ („Sie sind verstorben“).

Uralte Kulturen hatten sich in wenigen Jahren radikal verändert – etwa auf Palmerston/Cook Inseln oder auf Tanna/Vanuatu. Sie haben sich der modernen Welt angepasst und den Bedürfnissen der Besucher. Statt Baströckchen und Nambas wird auf Tanna jetzt Kleidung getragen („früher hatte wir keine Kleider, deshalb der Bast – nun bekommen wir sie aus China.“) Und statt Sushi oder Lap Lap aus Fisch und Kokosnuss, gibts nun Mehl und Zucker als Importware: Stanley in Port Resolution/Tanna an Bord der Freydis: „Ich will Kuchenbacken lernen“. Tauschhandel mit Yachten ist so gut wie out, und Gastfreundschaft nicht mehr so ausgeprägt. Man baut Resorts, will etwas verdienen, ein Auto kaufen. Handys haben schon die meisten. Nur Steckdosen sind noch Mangelware in den Hütten. Deshalb kommen die Fischer in ihren Einbäumen zu uns zum Aufladen der Batterien – zum Glück noch in Einbäumen! Fernseher flimmern bisher nur in der Hauptstadt.

Die Religion, das Spirituelle, spielt nicht mehr die große Rolle. Hier hat die Zeit der Globalisierung und Aufklärung geradezu eine Revolution ausgelöst. „John Frum, ja ja, ich weiß, ich habe in Neukaledonien gearbeitet.“ Man lächelt über den Glauben der Väter, den diese bei unserem letzten Besuch vor 14 Jahren noch mit solcher Inbrunst vorgetragen und verteidigt haben.

Manchmal kamen wir uns vor wie aus einer anderen Zeit, kannten uns nicht mehr aus, trauerten Vergangenem nach.

Treten wir in die Fußstapfen der vielen Yachties, die über Jahrzehnte segeln, und feststellen: Es ist alles stetig schlechter geworden? Ja und nein. Das ist nicht anders als bei den Tausenden von Alpinisten, die heutzutage den Mt. Everest besteigen.

Zugegeben – wenn man einmal absieht von der verbesserten Navigationstechnik und vom Schutz und Komfort in den neuen Marinas – so haben sich die Bedingungen für Segler meist verschlechtert. Man muss über vieles hinwegsehen, vieles meiden, vielem ausweichen. Das ist auch für uns desillusionierend und beeinträchtigt den Spaß an vielen Dingen. Aus diesem Grund sind wir wählerischer geworden, bevorzugen Ziele, die weniger frequentiert sind, und dort finden wir meist auch Menschen mit gleichen Ansprüchen und gleichen Anliegen – Gleichgesinnte: Das heiß nicht, dass wir uns nicht mehr fremden Menschen, fremden Kulturen und fremdem Gedankengut öffnen. Denn das inspiriert uns ja gerade.

Abgesehen von neuen Segelfreunden wie Rosi und Peter und Anne und Markus von den deutschen Yachten Rainbow und Flow, von Laura und Jan von der dänischen Yacht Anaconda, die uns auf der Reise begegnet und mit denen wir uns immer wieder trafen, gab es auf Neukaledonien ein Wiedersehen mit unseren alten Segelfreunden Hannelore und Christian Eckhoff von der Donella und dem dort ansässigen Radiologen und Segler Marc Joel von der Savannah. Durch ihn lernten wir die Teilnehmer der Expedition kennen, die die Wracks der La Perouse-Schiffe auf Vanikoro geortet und Reste der Ausrüstung geborgen hatten (s. „Inseln jenseits der Zeit“). Der Kapitän dieser Mannschaft, der schon unzählige Wracks rund um die Erde lokalisiert und wahre Schätze gehoben hat, führte uns persönlich durchs Museum. Besonderes Glanzstück: Der goldverzierte Knauf des La Pérouse-Degens – aber in meiner Begeisterung schweife ich schon wieder ab…

Also meine, unsere, Begeisterung fürs Segeln und das Drum und Dran ist ungebrochen… Und auch im nächsten Leben werden wir wahrscheinlich, wenn es dort nichts Besseres gibt – Segeln.

Noch ein Wort zum Wetter

Es war mehr als untypisch. Von der Ems bis Lissabon hatten wir Wind von vorn, weil das Islandtief monatelang nicht an seiner üblichen Stelle lag, sondern 1000 Meilen südlicher über Irland. Und die Atlantiküberquerung von Lissabon über die Kapverden in die Karibik brachte statt des erwarteten Nordostpassats überwiegend umlaufende Winde und Flauten: Zunächst hielt der tropische Sturm „Nadine “ von Madeira aus auf die portugiesische Küste zu und dann bestimmte wochenlang der riesige Hurrikan „Sandy“, der New York heimsuchte, das gesamte Wettergeschehen des Nordatlantiks.

Die Strecke von den Galapagos zu den Marquesas (über 3000 Seemeilen) wurde schon von vielen Seglern als die schönste Passatstrecke auf den Weltmeeren beschrieben: Unter ausgebaumter Genua bzw. Doppelfock waren sie bei stetigen mittleren Passatwinden, tags unter heißer Sonne und blauem Himmel mit weißen Passatwölkchen, nachts unterm Sternenzelt, von den Wellen gewiegt worden. Gesegelt waren sie mit Hilfe von Selbststeueranlagen und hatten höchstens ein- bis zweimal pro Woche die Segelstellung leicht korrigiert.

Nichts von alle dem erfuhren wir hier, als 1999 El Nino uns das Leben schwer machte: ständig wechselnder Wind zwischen 4 und 8 Bft., verbunden mit Winddrehungen von 30 bis 40 Grad. Meist liefen wir unter gerefften Segeln und waren Tag und Nacht auf dem Sprung zu Manövern.

Diesmal (2013) hatten wir zu Beginn kaum Wind, oft sogar totale Flaute. Immer wieder musste die Maschine herhalten. Dann nistete sich ein Tiefdruckgebiet in der ITC (Kalmenzone) ein und brachte uns eine Woche böige Walzen und Regen, Regen und Walzen. Wir liefen 7 bis 9 Knoten über Grund – ein wilder Ritt mit drei Reffs im Großsegel bei dem wir zeitweise per Hand steuerten und unser Glück weiter südlich suchten. Nach zwei Wochen stellte sich endlich, wenn auch unbeständig, Passat aus östlicher Richtung ein.

Resümee in Bundaberg: Auf den 17.000 Meilen seit unserem Aufbruch in Deutschland hatten wir nicht zwei Tage gleichmäßigen Wind!

Heide Wilts, im Dezember 2013

Links:

Nachtrag:

2015.10.28, 19:01 :: Holger Jacobsen hat uns einen Kommentar hinterlassen, den wir gerne weitergeben möchten:

Von: Holger Jacobsen
Betreff: Mit der Freydis von Pol zu Pol – Kontakt: Artikel „Einst Abenteurer, heute Touristen“
Datum: 27. Oktober 2015 13:52:08 MEZ
An: wilts@freydis.de

Betreff:
Artikel „Einst Abenteurer, heute Touristen“

Nachricht:
Hallo,

Hier ist der Holger von der DHARMA BUM III. Ich wollte Euch nur sagen,
dass ich mit dem Artikel „Einst Abenteurer, heute Touristen“ – trotz
der häufigen Gegenstimmen – außerordentlich übereinstimme. Habe ihn
leider erst jetzt gelesen. Ich bin 1981 nach Shanghai, habe dann ab
1982 in Taiwan gelebt und war 1987 das erste Mal im eigentlichen
Südpazifik, 1994 & 1995 das zweite Mal und 2007 bis 2009 das dritte
Mal. Ich glaube den Unterschied kann nur der wirklich beurteilen, der
ihn selbst miterlebt hat.

Einige sehen das Yachtieleben eben als Lebensstil, während andere
mehr segelnde Touristen sind. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir
uns irgendwo irgendwann einmal persönlich treffen würden!

PS: Irgendwas stimmt nicht mit der Kommentarfunktion

Viele liebe Grüße von Holger Jacobsen (江浩哲), Yeh Liping &
Aurora Ulani Jacobsen

Picasa

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DIE YACHT: Die „Freydis“ ist am Sehnsuchtsziel

Freitag, 04.09.2015, 11:58:18 UTC+3 :: Galanado

In der YACHT finde sich dieser kurze Bericht
über die Ankunft der Freydis in Alaska, wo sie bis zum nächsten Frühjahr überwintern wird.

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Ankunft in Kodiak/Alaska

Sonntag, 23.08.2015, 11:40:38 UTC+3 :: Kodiak/Alaska

An unsere Freunde und Mitsegler,

vor zwei Tagen sind wir in Kodiak angekommen nach einer in jeder Beziehung wunderbaren Reise, über die wir noch berichten werden.

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Sieben Kap-Hornier auf dem Weg nach Alaska

© Google Earth

Kushiro, den 23.Juni 2015

An unsere Freunde und Mitsegler

Die neue Crew ist vor zwei Tagen eingetroffen und die Vorbereitungen für den vor uns liegenden Törnabschnitt sind fast abgeschlossen. Wir haben uns noch einen zweitägigen Ausflug in den Akan-Nationalpark genehmigt: Dabei verbrachten wir die Nacht dort, wo wir schon vor fünf Jahren Freundschaft mit der Inhaberin geschlossen haben und seitdem mit ihr in Kontakt über Email stehen: im Riokan von Yuko Nonaka, am Fuß des aktiven Vulkans Meakandake. Ein Riokan ist ein traditionelles japanisches Hotel mit eigenem großzügigem Gemeinschaftsbad (Onsen) und typisch japanischem Essen. Schuhe werden am Hoteleingang ausgezogen; Yukata (Freizeit-Kimono aus Baumwolle) im Haus und außerhalb getragen. So hat die Crew noch ein wenig Japan mitbekommen.

Letzter Ausflug…

Heute fahren wir zum Io Zan. Und anschließend an den Kusharo-See, wo wir auf einem Trail durch vulkanisches Gelände wandern, das heisst an vielen vulkanischen Phänomenen vorbeikommen wie Fumarolen, Schlammlöchern, Schwefelbächen etc. Krönender Abschluss der kleinen Hokkaido-Runde wird ein Bad im vulkanisch beheizten Pool am See.

Morgen mittag sind wir hoffentlich auf See,…

…das heißt, wenn uns der Wetterbericht von „Wetterwelt“, den wir zur Sicherheit angefordert haben, keinen Strich durch die Rechnung macht.

Vor uns liegt mit Sicherheit der anspruchsvollste Törn seit wir vor drei Jahren mit der neuen Freydis in Deutschland gestartet sind. Wir rechnen damit, dass die Fahrt nach Attu, der ersten Insel der Aleutenkette, etwa zwei Wochen dauert. Weitere zwei Wochen haben wir eingeplant für den Besuch weiterer Inseln bis Dutch Harbor.

Auf dem Weg zu den Aleuten und entlang der Aleutenkette werden uns Stürme, Kälte, Nässe und vor allem Nebel erwarten. Das Trysegel ist bereits auf einer separaten Schiene am Mast angeschlagen. Außerdem haben wir am Heck das erste Mal unseren Jordan-Drogue montiert, sodass wir ihn bei Bedarf (schwerem Sturm) schnell einsetzen können.

Ein neuer Schleppanker

Jordan Drogue, das ist ein Schleppanker, der aber nicht nur aus einem, sondern aus vielen kleinen, hintereinander geschalteten, Schleppankern besteht und das Boot senkrecht zu den anrollenden Brechern hält. Das Boot wird im Sturm verlangsamt, das heißt, es kann nicht mehr ungebremst beschleunigen, wenn es die Wellenhänge hinunter rauscht und somit nicht mehr in die nächste Welle einbrechen. Es kann auch nicht mehr querschlagen und überrollt werden.

Theoretisch!

Die neue Crew

Außer uns beiden setzt sich die Crew wie folgt zusammen:

  • Erhard, seit 1990 ist er regelmäßig auf unseren Extremtörns dabei.
  • Jochen, auch er ist seit 1990 häufig mit uns gesegelt ist, etwa ums Kap Hoorn, das Kap der Guten Hoffnung und auf vielen anderen Abschnitten.
  • Udo gab sein Debut 1995 auf der Reise über die Tasmansee mit dem längsten Sturm, den wir mit der Freydis II je abzureiten hatten, danach Kap Hoorn und Feuerland, Hawaii, die Aleuten und der Golf von Alaska.
  • Hans, ebenfalls Kap Hoornier, war in den letzten zehn Jahren schon etliche Male mit uns unterwegs.
  • Ulrike ist der einzige Neuling an Bord, aber auch sie war schon am Kap Hoorm und in der Antarktis, außerdem bringt sie Erfahrung aus dem Nordpolarmeer mit.

Kleiner Rückblick

Als wir das Japanische Meer verließen und durch die Tsugaru Straße (die Meerenge zwischen Honshu und Hokkaido) im Pazifik beim Ansteuern von Hokkaido den 40. Breitengrad überschritten, kamen wir schlagartig von der subtropischen Zone in die Zone stürmischer Westwinde. Innerhalb weniger Stunden sank die Wassertemperatur von 20° auf 9°C, und die Roaring Forties meldeten sich mit ihrem ersten Sturm. Nach einer unangenehen Nacht, schafften wir es gerade noch rechtzeitig vor der Kaltfront in die Bucht von Hakodate einzulaufen.

Obwohl uns die Wetterküche Hokkaidos immer wieder in Angst und Schrecken versetzte – meist kam nachts starker Wind auf, und die Wellen schlugen das Boot gegen die Pier, dreimal mussten wir es verlegen – haben wir den Aufenthalt hier wieder sehr genossen. Natürlich waren wir auch wieder auf dem Mount Hakodate mit dem sagenhaften Blick auf die schöne Stadt. Und wir besuchten Matsumae, eine alte Stadt aus der Ezo-Zeit mit vielen Sehenswürdigkeiten: vor der Meiji-Zeit hieß Hokkaido „Ezo“ und Matsumae war die einzige Stadt auf Hokkaido.

In wenigen Stunden verlassen wir Japan…

…das wir trotz unseres persönlichen Verlustes in Fukushima in toller Erinnerung behalten. Internet haben wir erst wieder in vier Wochen in Dutch Harbor – also bis dahin!

Herzliche Grüße

Heide und Erich

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Chaostage auf der Freydis

Dienstag, 26.05.2015, 11:07:20 MESZ

Stand: 17.05.2015

Ihr Lieben,

Ein schöner und erlebnisreicher Törn nähert sich seinem Ende als wir am späten Nachmittag in unseren Zielhafen Kashiwazaki einlaufen. Diese 70.000-Einwohner-Stadt liegt 70 Kilometer von Niigata entfernt. Wir haben diesen Ort gewählt, weil wir durch den Taifun „Noul“ auf Tsushima in unserer Törnplanung in Verzug geraten sind.

Bereits am nächsten Tag werden unsere Mitsegler hier von Angehörigen abgeholt. Vorher wollen wir aber noch alle gemeinsam „Klar Schiff“ machen.

Vor dem Hafen überrascht uns ein dröhnender Empfang durch die Coast Guard, die uns mehrmals mit dem Hubschrauber umkreist. Über AIS weiss sie, wer wir sind. Sie verfolgt offensichtlich unsere Route, denn wir erhielten unterwegs mehrmals Aufforderungen auf Englisch über AIS, die Fischerei-Schutzonen zu beachten, d.h. genügend Abstand zum Land zu halten, und uns erreichten auch Warnungen vor Untiefen und Kursempfehlungen bei der Hafeneinfahrt nach Kashiwazaki. Diese Art der Betreuung auf See war für neu und ein wenig kam das Gefühl auf: „Big brother is watching you“.

Der kleine Hafen bietet nicht viele Möglichkeiten für uns anzulegen. Schließlich entscheiden wir uns für eine Pier, die jedoch, wie sich herausstellt, für Fischerei-Notfälle reserviert ist. Die Offiziellen wollen uns verlegen, aber wohin? Wir sollen in eine Marina in der Nähe, aber dort hat man keinen Platz für Boote unserer Länge, und im Hafen gibt es nur Kaimauern für Fischerboote. Also dürfen wir erst einmal bleiben, wo wir sind.

Im Hotel Misaki ganz in unserer Nähe, werden wir unsere gesammelten Abfälle los, bekommen einen Stadtplan und erste Informationen, wo was zu finden ist: Post, Supermarkt, Onsen, Rent a Car. Von der Cafeteria des Hotels genießen Mitsegler Peter und ich den Blick über den Hafen mit der roten Freydis. Ich nippe an einer Tasse heißem „cocoa with milk“ und lade unsere Emails herunter, Peter süffelt sein Bier und ruft seinen Cousin an, der an einer nicht weit entfernten Universität eine Professur für kreatives Filmen hat, und der ihn morgen abholen wird. Abends Abschiedsessen an Bord.

Tag 1 – Unglück und Unheil

Am nächsten Morgen werden wir am Kai für Notfälle selbst zum Notfall. Denn als wir alle Mann dabei sind, das Boot zu reinigen und den Motor anwerfen, um für den Staubsauger Strom zu erzeugen, ertönt plötzlich die Alarmsirene. Die Öldruck-Anzeige steht auf null. Der Motor wird sofort abgeschaltet.

Uns trifft der Schlag: Im Maschinenraum große Schweinerei, 15 Liter Maschinenöl tropfen von Wänden und Decke in die Bilge! Erich flucht und hält die Ursache in der Hand: Am Hochdruckschlauch, der von der Maschine zum Ölfilter führt, hat sich eine Pressung gelöst. Er nimmt den Schlauch ab. Über Internet muss in Deutschland ein Ersatzteil bestellt werden. Was uns aber vor allem beunruhigt, ist der Gedanke, dass die Maschine möglicherweise Schaden genommen hat. Immerhin vergingen einige Sekunden, bis sie abgeschaltet war. Dann hätten wir nämlich ein großes Problem.

In dieser Phase erscheinen plötzlich an die 20 Beamte vor unserem Boot: Hafenbehörde, Polizei, Immigration, Customs, Coast Guard. Wir werden ins Hafengebäude zitiert und dort ist es nicht die umständliche, aber immer freundliche Einklarierungsprozedur, die uns bisher in jedem Hafen Japans erwartete, sondern dieses Mal entpuppt sich das Treffen als ein Verhör mit ernsten Gesichtern und schneidenden Fragen, die von unserem Mitsegler Peter zwar so gut wie möglich übersetzt, und von uns so gut wie möglich beantwortet werden, aber nicht zur vollen Zufriedenheit der Beamten, die ein immer ernsteres und verbisseneres Gesicht aufsetzen.

Was uns in Jahrzehnten noch nie passiert ist: Erich, als Skipper wird aufgefordert, das Logbuch vorzulegen, sie wollen unsere Angaben zur Reiseroute überprüfen. Bei mir kommt Sorge auf, die Angelegenheit könnte eskalieren, denn nun wird auch Erich immer gereizter, zumal er starke Zahnschmerzen hat. Zum Glück trifft Fumiko ein, die japanische Frau unseres Mitseglers Dietmar. Ihr gelingt es, in ruhiger und sachlicher Weise die Wogen zu glätten und alle Ungereimtheiten auszuräumen: Die Beamten hielten uns wohl für Illegale oder wegen unseres längeren Tsushima-Aufenthaltes (nur 40 Meilen von Südkorea entfernt) für Schmuggler; schließlich sind Süd- und Nordkorea und auch Russland und China nur einen Katzensprung entfernt. Die Formalitäten werden nun freundlich erledigt, und als die Beamten von unserem Problemen im Maschinenraum hören, ist im Nu ein Mechaniker zur Stelle, der sich den Schaden ansieht – vor allem wohl, um sicher zu stellen, dass kein Öl in den Hafen fließt (was für die Sauberkeit japanischer Häfen spricht).

Nachmittags verlassen unsere Mitsegler mit ihren Angehörigen die Freydis. Anschließend hetzen wir ins Hotel Misaki – dem einzigen Ort, an dem wir Internetzugang bekommen. Dort bespricht Erich über Skype mit unserem Freund Thilo in Ostfriesland unser Problem. Fotos des Schlauches samt Verbindungsstücken schicken wir ihm über WhatsApp. Er will einem der Mitsegeler der nächsten Crew einen Ersatzschlauch mitgeben. Aber es ist sehr fraglich, ob die Zeit dafür reicht.

Nach einem anstrengenden Marsch am Abend in die Innenstadt zum Proviantkauf wollen wir noch einmal nach Deutschland telefonieren. Auf der Suche nach dem iPhone stellen wir das Boot auf den Kopf und rufen uns dann vom Hotel Misaki aus selbst an, um es zu lokalisieren – doch alles vergeblich.

Tag 2 in Kashiwazaki

Am Morgen beratschlagen wir gerade, wie wir hier zu einem neuen Schlauch kommen, als plötzlich zwei Männer – Takahashi-San und ein befreundeter Techniker – vor der Freydis stehen. Ob wir Hilfe bräuchten? Sie schauen sich den Schaden genau an, führen diverse Telefonate und nehmen den Schlauch mit. Sie wollen ihn reparieren lassen. Das ist wieder einmal typisch Japan!

Wir machen uns derweil auf die Suche nach dem verlorenen iPhone, klappern Hotel und Supermarkt ab und landen schließlich bei der Polizei, denn ein Fundbüro gibt es nicht.

Kaum sind wir mittags wieder an Bord, kehrt Takahishi-San mit einem einwandfrei reparierten Schlauch zurück. Erich montiert ihn sofort, füllt die 15 Liter Öl wieder auf und startet den Motor. Er springt sofort an und surrt wie eine Nähmaschine. Wir atmen auf. Wir haben Glück im Unglück gehabt, dass der Schaden nicht auf See, sondern im Hafen passiert ist.

Eigentlich hätte Erich wegen der Zahnschmerzen längst zum Arzt gemusst. Aber der Sturkopf schluckt Tabletten und beginnt mit der Säuberung des Motorraums. Ich mache mich währenddessen noch einmal systematisch auf die Suche im Boot nach dem verschwundenen iPhone. Nachdem ich schon fast die Hoffnung aufgegeben habe, durchforste ich ein letztes Mal unsere Rucksäcke. Und siehe da: Im doppelten Boden von Erichs Rucksack werde ich fündig. Hurra – wieder ein Problem gelöst!

Aber ein neues wird immer offensichtlicher: Erichs Backe schwillt an. Er kann vor Schmerz kaum schlafen. Meine Geduld ist zu Ende: Wir müssen zum Zahnarzt!

Tag 3, Samstag

Um 9 Uhr morgens fährt Takahashi-San den schmerzgeplagten, übernächtigten Erich und mich zum zahnärztlichen Wochenend-Notdienst. Mit dem Zahnarzt klappt die Verständigung auch ohne Worte. Es wird geröntgt, gebohrt und plombiert, und nach einer Stunde wird der Patient mit Tabletten gegen Schmerz und Entzündung entlassen. Für’s Erste.

Optimisten, die wir sind, lassen wir uns zum „Rent a Car“ kutschieren und buchen für die kommenden drei Tage einen Leihwagen. Am Nachmittag bringen wir den Maschinenraum auf Hochglanz. Aber dann nehmen wir unseren geplanten Abstecher in die Japanischen Alpen in Angriff.

Darüber später.

Herzliche Grüße
Heide & Erich

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Der neue Törnplan für 2015: Japan – Aleuten – Alaska

Freitag, 01.08.2014 :: Heidelberg

Der Törnplan für 2015 steht und kann hier eingesehen und heruntergeladen werden.

Mit der Freydis III von Japan nach Alaska

Nach einer Verzögerung von vier Jahren setzen wir die Reise von Japan nach Alaska fort – nun mit der neuen Freydis. Zwei Änderungen werden Euch beim Vergleich von altem und neuem Törnplan auffallen: Wir segeln diesmal übers das Japanische Meer an der vor möglichen Tsunamis geschützten Westküste von Japan und besuchen zahlreiche entlegene Inseln, auf denen die Bewohner noch ihren traditionellen Lebensstil pflegen und wir kaum ausländische Touristen antreffen dürften. Dann geht es an der Südküste von Hokkaido entlang nach Kushiro, dem Ausgangshafen für Alaska. Es ist dies unsere fünfte ausgedehnte Reise durch Japan und seine Gewässer. Den Abstecher nach Sibirien zur Halbinsel Kamtschatka haben wir gestrichen: Zu unsicher sind dort die politischen Verhältnisse. Moskau ist weit, nämlich 7.000 km Luftlinie, in dem „gesetzesfreien“ Raum operiert die Russen-Mafia. Das stört weniger den „Normaltouristen“, aber wenn wir dort mit der Freydis aufkreuzen, sind wir mit dem Schiff erpressbar. Risiken dieser Art wollen wir möglichst aus dem Wege gehen. Dazu kommt, dass wir keine Ausnahme-Genehmigung zum Anlaufen der Kommandeur Inseln erhalten, die wir gerne besucht hätten. Schade! Ein zweites Mal (nach 2007 im Beringmeer) segeln wir nun an Russland vorbei.

Von Kushiro/Hokkaido geht es also auf direktem Weg nach Attu, der westlichsten der Aleuteninseln und von dort in kleinen Schritten nach Dutch Harbor/Unalaska, wo wir schon 2006 – damals von Hawaii und Midway kommend – angelandet sind.

Den Törnplan hier heruntergeladen.

Mehr Details auch auf der Seite des aktuellen Törnplans.

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